Nordrhein-Westfalen:Brandmauer und Rückenwind

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Vor der NRW-Wahl betont die SPD die großen Unterschiede zu Schleswig-Holstein. Die CDU sieht dagegen so viele Gemeinsamkeiten, dass Spitzenkandidat Laschet fast übermütig wird.

Von Jan Bielicki, Düsseldorf

(Foto: SZ-Grafik; Quelle: Forschungsgruppe Wahlen (Umfrage vom 2. bis 4.5.))

Am Samstag scheint noch die Sonne über den Sozialdemokraten Nordrhein-Westfalens. Seit' an Seit' schieben sich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Parteichef Martin Schulz durch die zentrale Fußgängerzone von Mülheim an der Ruhr. Sie verteilen Rosen, lassen sich für Selfies umarmen, parlieren auf Französisch mit einer Pfadfindergruppe, die aus dem Nachbarland ins Ruhrgebiet gekommen ist. Die Stimmung der meisten Passanten ist so freundlich wie das Frühlingswetter. Es ist ein Heimspiel für die SPD, in Mülheim ist die Ministerpräsidentin aufgewachsen, hier ist sie zu Hause. Und darum setzt Schulz ganz auf den Kraft-Effekt: Es gehe bei der Landtagswahl am kommenden Sonntag um die "ganz klare Frage: Wer soll dieses Land in den nächsten fünf Jahren führen?"

Es ist kalt und grau über dem Ruhrgebiet, als Kraft am Montag wieder auf Wahlkampftour geht. Zwei Wahlergebnisse hat sie am Sonntagabend noch kommentiert, das Stechen um das französische Präsidentenamt per Twitter mit einem fröhlichen "Vive la France, vive l'Europe!", das Desaster der Parteifreunde in Schleswig-Holstein mit einer Presseerklärung, deren zur Schau gestellte Zuversicht schon gezwungener klingt.

Wichtigste Botschaft darin: "Schleswig-Holstein ist nicht Nordrhein-Westfalen." Erste Analysen der "bitteren Niederlage" hätten "gezeigt, dass spezielle Gegebenheiten vor Ort eine wichtige Rolle gespielt haben", versucht Kraft, größtmögliche Distanz zwischen sich und die Wahlverlierer von der Küste zu legen. Das ist die höfliche Variante einer Schuldzuweisung. Norbert Römer, Chef der Düsseldorfer SPD-Landtagsfraktion, formuliert sie gröber: "Hausgemachte Fehler vor allem durch das Verhalten von Ministerpräsident Torsten Albig" hätten großen Anteil an der Niederlage im Norden, benennt Römer einen Schuldigen, der den Vorteil hat, nichts mit Nordrhein-Westfalen zu tun zu haben: "Unser Land ist anders. Und Torsten Albig ist nicht Hannelore Kraft." Der große Unterschied laut Römer: "Unsere Ministerpräsidentin ist allseits beliebt und anerkannt."

Tatsächlich bewegen sich den Umfragen zufolge Krafts persönliche Beliebtheitswerte weiterhin deutlich über denen ihres CDU-Herausforderers Armin Laschet - allerdings liegt die Amtsinhaberin längst nicht so weit vorne wie vor ihrem Wahlsieg vor fünf Jahren. Doch reicht dieser Amtsbonus, damit die SPD stärkste Partei bleibt? Zuletzt ist die CDU in den Umfragen wieder an die SPD herangekommen, und der Wahlsieg seiner Parteifreunde in Kiel lässt Laschet "starken Rückenwind aus dem Norden" spüren.

Während die Sozialdemokraten im Westen eifrig an der Brandmauer bauen, die ein Übergreifen des Trends nach NRW verhindern soll, betonen die Christdemokraten die Parallelen zwischen Kiel und Düsseldorf: hier wie dort eine rot-grün geprägte Regierung, hier wie dort Murren und Unzufriedenheit über den Zustand der Schulen und der Infrastruktur. "Die Lage in Nordrhein-Westfalen ist ja viel schlimmer als in Schleswig-Holstein", sagt Laschet am Montagmorgen dem WDR, bevor er zur Feier des Kieler Wahlsiegers Daniel Günther in den CDU-Spitzengremien in Berlin aufbricht. Für Laschet ist der überraschend deutliche Sieg Günthers fast noch wichtiger, als es schon der CDU-Sieg bei der Landtagswahl im Saarland war. Damals zeigte sich, dass der Schulz-Effekt bei Wahlen im Land seine Grenzen hat. In Kiel kam dazu noch der Beweis hinzu, dass auch ein Oppositionspolitiker, dem das lange nicht zugetraut wurde, einen Regierungschef stürzen kann. Die Chance der CDU, in Nordrhein-Westfalen stärkste Partei zu werden, so Laschet fast übermütig, sei sogar noch größer als an der Küste.

Freilich: Nordrhein-Westfalen ist ein größerer Brocken, hier sind mehr als vier Mal so viele Wähler zu Hause als zwischen Nord- und Ostsee. Zudem muss sich die CDU auf einen Konkurrenten im bürgerlichen Lager einstellen, der ihr noch mehr und hier entscheidende Stimmen wegnehmen könnte. Das gute Abschneiden seiner Parteifreunde in Kiel hat die Aussichten von FDP-Chef Christian Lindner auf ein deutlich zweistelliges Ergebnis in Düsseldorf noch einmal verbessert. Das sei ein "Motivationsschub", die rot-grüne Landesregierung "kielzuholen", sagt Lindner.

Und auch Nordrhein-Westfalens Grüne reden von günstigen Nordwinden. Zuletzt von Abstiegsängsten geplagt, beamten sie sich auf einem Delegiertentreffen am Sonntag in Bochum eigens eine Motivationsrede des nordgrünen Spitzenmannes Robert Habeck an die Wand: "Gewinnt diese verfluchte Wahl!"

© SZ vom 09.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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