Nordkoreas Diktator:Was Kim Jong Un wirklich interessiert

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Öffentlichkeitswirksam: Undatiertes Foto des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un. Er inspiziert eine Fabrik in Pjöngjang.  (Foto: AFP)

Kim Jong Uns militärische Kraftmeiereien sind gar nicht so irrational, sagen Nordkorea-Experten. Denn Pjöngjang wolle gar nicht, dass sein Militär auf die Probe gestellt werde. Stattdessen versuche sich Nordkoreas Machthaber im Konflikt mit den USA und Südkorea als großer Stratege - und halte sich dabei an die Rezepte seines Vaters.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Südkorea und die USA haben ihre Streitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Jederzeit erwarten sie nun einen Raketentest Nordkoreas. Hajime Izumi aber meint, Kim Jong Un müsse gar keine Rakete mehr starten. Pjöngjang habe mit der gegenwärtigen Krise bereits sein Ziel erreicht, die Autorität des jungen Diktators zu festigen.

Izumi ist Professor an der Universität Shizuoka und einer von Japans kompetentesten Nordkorea-Experten. Seine Lesart des Drehbuchs dieser Krise leitet er aus der Binnenpropaganda des Regimes in Pjöngjang ab und wie sie den Nordkoreaner die Provokationen der vergangenen Monate vermittelt hat.

Izumi meint, mit der Serie militärischer Kraftmeiereien, die ihren Auftakt in dem erfolgreichen Satellitenstart im Dezember hatte, habe der 30-jährige Kim erreicht, was seinem Vater (und auch seinem Großvater) zuvor nicht gelungen sei. Damit habe er sich, wie die Propaganda impliziere, über seine beiden Vorgänger hinausgeschwungen, sagte der Experte. Der Atomtest im Februar wurde den Nordkoreanern als "Strafaktion gegen die USA" wegen der Verschärfung der Sanktionen verkauft, erläutert Izumi. Nie zuvor habe Nordkoreas Propaganda diesen Begriff verwendet. Demnach habe Kim Washington erfolgreich bestraft.

In dieser Darstellung ist Nordkorea nicht der vom amerikanischen Goliath bedrohte David, wie Pjöngjang sich nach außen darstellt, nein, Machthaber Kim Jong Un ist der Sieger, der es Washington gezeigt hat.

Pjöngjang wolle seine Raketen nur ausprobieren

Für die jüngsten Eskalationen dienten demnach die Frühjahrsmanöver der Vereinigten Staaten mit Südkorea unter dem Codenamen Foal Eagle als Vorwand. Die Propaganda berichtet den Nordkoreanern, die Amerikaner hätten eine Invasion ihres Landes vorbereitet. Mit der Mobilisierung des Volkes sei es dem "jungen General" gelungen, den Preis einer Invasion so weit hochzutreiben, dass er die USA und Südkorea abzuschrecken und den Angriff abzuwenden vermochte.

"Das ist eine ganz einfache Geschichte", sagt Izumi. Dabei spiele es keine Rolle, ob der Norden die militärische Fähigkeit habe, eine Invasion abzuschmettern. Die Fiktion genüge - Nordkorea wolle gar nicht, dass sein Militär auf die Probe gestellt werde. Sollte der Norden dennoch Raketen testen, dann, weil das Militär ausprobieren wolle, was es hat. Außerdem sei das Raketenprogramm Verhandlungsmasse. Eigentlich aber konzentriere sich das Regime bereits auf die Wirtschaft.

Pjöngjang handle durchaus rational, sagt Izumi, und auch die Taktik habe sich mit dem Übergang von Kim Jong Il zu Kim Jong Un nicht geändert. Den gemeinsamen Industriepark der beiden Koreas in Kaesong habe Pjöngjang nicht geschlossen, um die Stimmung zusätzlich anzuheizen, sondern um Seoul an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die - vorübergehende - Schließung belastet vor allem kleine und mittlere Firmen im Süden, die nun Druck auf Präsidentin Park Geun Hye ausüben. Pjöngjang werde Seoul, sollte es verhandeln, Konzessionen abpressen: etwa, dass südkoreanischen Firmen in Kaesong künftig an Nordkorea Steuern zahlen.

Auch Narushige Michishita, ein Experte, der Japans Regierung in militärischen Fragen zu Nordkorea berät, bestätigt, Kim halte sich an die Rezepte seines Vaters: "Er provoziert, um die USA an den Verhandlungstisch zu zerren, damit man die Krise lösen kann." Anders als Izumi kann sich Michishita vorstellen, dass Pjöngjang die Krise noch weiter verschärft, etwa mit einem Scharmützel an der innerkoreanischen Grenze oder an der umstrittenen Seegrenze im Gelben Meer. Letzteres sei am wahrscheinlichsten, meint Michishita, denn Pjöngjang habe starke Argumente für seine Interpretation der Grenzlinie. Zudem besuchte Kim Jong Un kürzlich Militäreinheiten dort.

Komme es zu einer militärischen Auseinandersetzung, dann müssten die beiden Seiten danach trotzdem wieder miteinander reden, sie hätten gar keine Wahl, prognostiziert Michishita. Der Militärexperte ahnt auch schon, wie man sich diese möglichen, künftigen Verhandlungen vorstellen müsse: Nordkorea werde sein Plutonium-Programm aufgeben, aber an der Uran-Anreicherung festhalten - angeblich zur zivilen Nutzung. Darauf könne Washington eingehen. Analog würde Nordkoreas Raketenprogramm in zivile und militärische Teile gespalten, die zivilen dürfte Nordkorea weiterverfolgen, womöglich in Zusammenarbeit mit den USA. Dann gewänne Washington Einblicke, beide Seiten würden profitieren.

Atomwaffen als Garantie für seine Unabhängigkeit

Michishita hält es für ausgeschlossen, dass Washington Nordkorea als Atommacht anerkennt, wie es Pjöngjang mit Blick auf die Präzedenzfälle Indien und Pakistan erwartet. Aber die USA könnten beide Augen zudrücken und das Uran-Programm dulden. Izumi dagegen meint, eigentlich hätten die USA und alle andern Nachbarn Nordkoreas Status als De-facto- Atommacht bereits akzeptiert - vor allem auch Washington, das voriges Jahr bereits zweimal heimlich mit Pjöngjang verhandelt habe. Nur sage das niemand öffentlich. Allerdings schüre die US-Regierung mit dieser impliziten Duldung die Forderungen konservativer Kreise in Südkorea, auch für ihr Land Atomwaffen zu bekommen.

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Vom Schweizer Schulbuben zum Diktator einer Atommacht: Als Kim Jong Un 2011 die Macht in Nordkorea übernahm, erhoffte sich der Westen eine Öffnung des bettelarmen, aber hochgerüsteten Landes. Doch stattdessen provoziert Kim die internationale Gemeinschaft mit Kriegsdrohungen und Raketentests.

Ein Porträt in Bildern

Izumi findet es paradox, dass Kim Jong Un an den Atomwaffen festhält. Sein Großvater Kim Il Sung habe stets darauf gepocht, die gesamte koreanische Halbinsel müsse frei von Atomwaffen bleiben. Auch China wolle kein nuklear bewaffnetes Korea, weder im Norden noch im Süden. Peking misstraue Pjöngjang. Dennoch seien Nordkoreas Atomwaffen für Peking ein sekundäres Problem. Wichtiger ist den Chinesen seiner Ansicht nach, dass es auf der koreanischen Halbinsel keinen Krieg gibt, dass das Regime in Pjöngjang nicht zusammenbricht. Ähnlich gilt das für Südkorea.

Nordkorea sieht seine Atomwaffen und Raketen als Garantie für seine Unabhängigkeit und das Überleben des Regimes. Wenn es sich zur Abschreckung auf konventionelle Waffen stütze, hängt es von Rüstungsimporten aus China oder Russland ab. Die gegenwärtige Krise, selbst wenn sie noch in einem Scharmützel gipfelt, wird kaum ein Hindernis für künftige Verhandlungen sein: Südkorea hat sich im Umgang mit den Aggressionen der Kims stets ziemlich tolerant gezeigt.

© SZ vom 11.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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