Nato:Ein Bündnis, immerhin

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Anders als die EU-Mitglieder folgen die Nato-Staaten der Einsicht, dass Geschlossenheit stark macht. Dies haben sie am Freitag beim Nato-Gipfel in Warschau demonstriert. Nun müssen sie eine Balance zwischen Abschreckung und Dialog im Umgang mit Russland finden.

Von Stefan Kornelius

Bündnisse sind nicht gottgegeben in diesen Tagen, weshalb sich die Nato ein bisschen loben darf. Ihr ist gelungen, woran die Europäische Union gerade scheitert: Ihre Mitglieder haben verstanden, dass Geschlossenheit stark macht. Das ist keine Selbstverständlichkeit in einer Verteidigungsallianz von 28 Staaten, die in Zeiten von Krieg, Terror und Vertreibung 28 sehr unterschiedliche Ansichten über ihre Sicherheit haben.

Die Nato ist eine gewaltige Bürokratiemaschine, eine zivil-militärische Blase aus Schulterklappenträgern, Strategen, Rüstungsleuten, und, ja, auch Politikern, die unablässig rattert und schnauft und brummt. Allerdings: Bis das Getriebe in Brüssel tatsächlich eine Panzerkette bewegt oder ein Flugzeug starten lässt, verbraucht es unendlich viel Energie.

Deswegen ist bei allem selbstzufriedenen Gipfelapplaus festzustellen: Mit vier ständig rotierenden Bataillonen im Baltikum und in Polen hat sich die Nato nicht neu erfunden. Diese Truppen sind wahrlich keine Bedrohung für irgendjemand, sondern allenfalls ein Warnschild für Russland, dass die Invasion eines Nato-Staates Folgen haben werde. Welche, kann und will sich die Nato selbst nicht ausmalen. Die Inventur ihrer Fähigkeiten hat die Allianz vor allem aus dem Schlaf gerissen, die Übungen dienten weniger der Abschreckung als der Ernüchterung. So wenig Bündnisverteidigung war selten.

Zweitens ist jenseits aller militärischen Selbstvergewisserung auch die strategische Orientierung nicht einfacher geworden. Die Bataillone im Osten mögen als moralischer Kleber wirken, eine große, umfassende Bündnisstrategie ersetzen sie nicht. Diese Fragen nach dem Wozu und Wie kann die Nato aber momentan nicht beantworten. Sie eilt wie der Politikbetrieb insgesamt den Ereignissen hinterher und muss ihre Orientierungslosigkeit eingestehen. Terror, Migration, der Krieg in Syrien, der richtige Umgang mit Russland, ein beispielloser interner Umbau bei zwar wachsenden, aber vergleichsweise kleinen Budgets, und das alles im Konsens der 28 - so viel Unsicherheit überfordert auch ein Sicherheitsbündnis.

Deswegen ist es jetzt nötig, die wichtigsten Ziele im Auge zu behalten. Die EU-Erfahrung lehrt, dass Einigkeit ein Wert an sich ist. Diese Botschaft sollte das Nato-Mitglied Großbritannien beherzigen, wenn in den nächsten Monaten der Umgang mit den europäischen Nachbarn ruppig werden sollte. Noch führt der Brexit zu Solidaritätsschwüren in der Nato, aber niemand sollte sich täuschen: Ein bisschen Isolationismus aus London, ein bissiger Nationalismus eines Präsidenten Donald Trump (Gott behüte) kann das Zersetzungsvirus blitzschnell weitertragen.

Weil der kühle Kopf momentan zu den weniger benutzten Körperteilen gehört, sollte die Nato ihren in Eiskübel gepackten Verstand auf die zweitwichtigste Aufgabe nach dem Thema Geschlossenheit richten: den Umgang mit Russland. Viel wird nachgedacht über die richtige Balance aus Abschreckung und Dialog. Das ist richtig. Über allem muss aber die Erkenntnis stehen, dass ein Präsident Wladimir Putin nur deshalb so stark ist, weil ihm die Nato das Feindbild liefert, ohne dass er sein System nicht erhalten kann. Die Grundabschreckung ist nötig, schon allein um den Bündnisstaaten im Osten ein Minimum an Vergewisserung zu geben, ohne die sie sich schnell radikalisieren würden. Richtig ist aber auch, dass sich die Nato-Staaten nicht von einer Logik militärischer Eskalation gefangen nehmen lassen dürfen. Sie haben erfreulicherweise auch andere Instrumente an der Hand, zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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