Myanmar:Neue Ära

Lesezeit: 2 min

Die Anhänger von Aung San Suu Kyi feiern den Wahlsieg ihres Idols. Sie selbst bremst die Euphorie eher und predigt Versöhnung.

Von Arne Perras, Yangon

Der Jubel schwillt von Stunde zu Stunde an, Anhänger von Aung San Suu Kyi tanzen und singen, ein rotes Meer aus Fahnen leuchtet in den Straßen der Metropole und früheren Hauptstadt Yangon, während alle auf die Wahlergebnisse warten. An einem Sieg der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) zweifeln in Myanmar an diesem Montagabend nur noch wenige, zumal mehrere Politiker der bisher regierenden, aus der Militärjunta hervorgegangenen "Union für Solidarität und Entwicklung" (USDP) bereits ihre Niederlage eingestanden haben. "Wir haben verloren", sagte USDP-Chef Htay Oo. Seine Aussage bezog sich zunächst auf einzelne Sitze, nicht auf ein Gesamtergebnis, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegt.

Die Auszählung in dem asiatischen Land verläuft an diesem Tag zäh, einzelne Ergebnisse gibt es erst nach und nach. Alle wissen, dass es noch dauern kann, bis über das Ergebnis Gewissheit herrscht. An der Zuversicht der NLD-Anhänger, die in den Straßen jubeln, ändert das erst einmal nichts. Sie feiern bereits den Sieg ihrer Ikone Aung San Suu Kyi, deren Partei nach eigenen Hochrechnungen davon ausgeht, dass sie bis zu 80 Prozent aller Sitze, die bei der Wahl zu vergeben waren, erobert hat. Frei gewählt wurden aber nur Dreiviertel aller Abgeordneten. 25 Prozent der Sitze waren bereits vorab für das Militär reserviert.

25 Prozent der Sitze im Parlament sind vorab für das Militär reserviert

Die bisher regierende Partei USDP hatte darauf gehofft, dass sie in Allianz mit den Armeekräften im Parlament die Mehrheit halten kann, doch die Hoffnung darauf schwindet. Bis ein klares Gesamtbild von der Wahl vorliegt, könnten noch mehrere Tage vergehen, dennoch spricht die Staatszeitung bereits von einer neuen Ära.

Und der Chef der Streitkräfte, Min Aung Hlaing, wird mit dem Satz zitiert, dass es keinerlei Grund gebe, das Ergebnis nicht anzuerkennen.

Eine Menschenmenge versammelt sich vor dem Hauptquartier der Partei von Aung San Suu Kyi. (Foto: Romeo Gacad/AFP)

Aung San Suu Kyi ist am ersten Tag nach der Wahl noch bemüht, ihre Anhänger in ihrer Begeisterung zu bremsen. "Wir müssen vorsichtig vorangehen", ruft sie der Masse vor ihrer Parteizentrale zu. "Bleibt friedlich und ruhig. Der Sieger muss bescheiden bleiben und alle Taten unterlassen, die andere beleidigen können." Einen echten Sieg könnte nur das Land als Ganzes erringen, nicht einzelne Leute oder Gruppen.

Darin lässt sie bereits anklingen, dass sie keinen Konfrontationskurs mit den alten Kräften möchte, die nun offenbar viele ihrer Parlamentssitze verlieren werden. Schon einmal hat die NLD 80 Prozent aller Mandate bei Wahlen gewonnen, das war im Jahr 1990. Aber dann hatte das Militär das Ergebnis ignoriert und herrschte eisern weiter. Das möchte die NLD nicht noch einmal erleben.

Obgleich fünf Jahrzehnte Militärherrschaft tiefe Wunden im Land gerissen haben, will Aung San Suu Kyi keine strafrechtliche Aufarbeitung früherer Verbrechen anstoßen. Im Wahlkampf versprach sie mehrfach, sie wolle das Volk und die Armee miteinander versöhnen, doch konkret wurde sie nicht. Gleichzeitig betont sie, dass die Armee in der Politik nichts zu suchen habe. Die Realität ist anders. Das Militär hat sich durch die Verfassung viel politische Macht gesichert. Damit wird sich Aung San Suu Kyi arrangieren müssen.

Zu den Wählern der NLD dürften am Sonntag auch viele Muslime gehört haben, sofern sie nicht, wie die Gruppe der Rohingyas, im Westen als staatenlos eingestuft waren und damit keine Stimme hatten. In Yangon hat Tin Win der NLD seine Stimme gegeben, der 65-Jährige ist Muslim und hat früher selbst in der Armee gedient. "Nur die NLD kann die Rechte aller verteidigen", glaubt der frühere Offizier. Mit der USDP gehe das nicht. So wie er hoffen viele Muslime auf den Sieg der NLD, obgleich auch Suu Kyis Partei keinen einzelnen muslimischen Kandidaten für die Wahl aufgestellt hat. Im mehrheitlich buddhistischen Myanmar fühlen sich Muslime häufig diskriminiert, und es kommt immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen auf die religiöse Minderheit.

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: