Mexiko:Mörderischer Wahlkampf

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90 Millionen Mexikaner sind wahlberechtigt, aber das organisierte Verbrechen bestimmt, wer ins Rathaus kommt und wer ins Grab. Man muss sich über jeden Politiker wundern, der da weitermacht.

Von BORIS HERRMANN

I n den meisten Demokratien, etwa in Deutschland, ist das Wort Wahlkampf ein Sprachbild. Gekämpft wird mitTalkshowauftritten, mit kostenlosen Kugelschreibern, manchmal sogar mit Argumenten. In Mexiko findet gerade ein Wahlkampf im wörtlichen Sinne statt.

Geführt wird er mit Pistolen und Gewehren. Ein nicht ungewöhnlicher Samstag in diesem Wahlkampf sieht so aus: Die Lokalpolitikerin Pamela Terán von der Regierungspartei PRI stirbt in Oaxaca im Kugelhagel, als sie ein Lokal verlässt; mir ihr die Fotografin und der Chauffeur. Wenig später wird in Puebla die Grünen-Politikerin Juana Iraís Maldonado ermordet, auch eine Mitarbeiterin, die neben ihr im Auto sitzt, ist sofort tot. Fünf Leichen an einem Vormittag. Fünf Menschen, die es wagten, sich in dieser speziellen Demokratie an der demokratischen Kultur zu beteiligen.

Am 1. Juli werden in Mexiko der Staatspräsident, Parlamentarier, Gouverneure, Bürgermeister und Gemeinderäte neu gewählt. Schon jetzt hat die Zahl der Gewalttaten alle Rekorde gebrochen. Seit Beginn der Vorwahlen im September sind 112 Politiker und Kandidaten ermordet worden. Alle zweieinhalb Tage ein Toter. Wem die Kampagnen von Terán und Maldonado nicht gepasst haben, konnte oder sollte bislang nicht ermittelt werden. Mexiko ist ein Land der Straflosigkeit, in dem weniger als zehn Prozent der Morde aufgeklärt werden. In den seltensten Fällen scheint es aber um politische Attentate nach klassischem Verständnis zu gehen. Es trifft Kandidaten aller Parteien und Ideologien. Getötet wird nach dem Prinzip "Plata o Plomo" (Geld oder Blei). Im Grunde sind alle in Gefahr, die sich weigern, mit der Drogenmafia zu kollaborieren. Wer sich nicht bestechen lässt, wird erschossen.

Es fällt schwer, überhaupt von einer Wahl zu sprechen. Knapp 90 Millionen Mexikaner sind wahlberechtigt, aber wer hier vor allem auswählt, ist das organisierte Verbrechen. Es bestimmt, wer antreten darf und wer nicht; wer ins Rathaus kommt und wer ins Grab. Rund 1 000 Politiker haben ihre Kandidatur aus Angst zurückgezogen; man muss sich eher über jene wundern, die weitermachen.

Geld oder Blei: Wer sich nicht bestechen lässt, der wird erschossen

Höchst wundersam ist auch, dass es keinen breiten Aufschrei gibt, weder national noch international. 112 ermordete Politiker - das wäre fast überall auf der Welt ein gewaltiger Skandal. Im Fall von Mexiko scheint die alltägliche Barbarei aber schon fast zur Folklore zu gehören. Die scheidende Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto spricht tatsächlich von einer "lebendigen Demokratie". Und wenn sich das Ausland mit dem mexikanischen Drogenkrieg beschäftigt, dann am liebsten mit märchenhaften Fernsehserien oder Erzählungen über die großen Capos wie "El Chapo" oder neuerdings "El Mencho". Die Indifferenz gegenüber den Toten von Mexiko ist auch das Ergebnis einer popkulturellen Verharmlosungsindustrie.

Das Grundübel ist aber gerade nicht die angebliche Allmacht finsterer Paten, sondern die Tatsache, dass diejenigen, die sie eigentlich verfolgen und verhaften müssten, oft mit ihnen verbandelt sind: das Militär, die Polizei, Teile der Justiz. Die strukturelle Drogengewalt in Mexiko ist ein verästeltes System, das in alle gesellschaftlichen Bereich hineinreicht - in die Politik, die Wirtschaft, das Showgeschäft, den Fußball. Zu diesem System gehören auch die Kokser und Kiffer in den USA und Europa, die es am Laufen halten und die mit ihrer ungebremsten Nachfrage auch diesen schauerlichen Wahlkampf finanzieren.

© SZ vom 11.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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