Mexiko:Biblische Plagen

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Der Papst besucht ein Land, vor dessen Entwicklung er ganz Lateinamerika gewarnt hat: Drogen, Gewalt und Korruption zersetzen die staatliche Ordnung. Schuld daran sind auch Europa und die USA, wo die meisten Drogenkonsumenten leben.

Von Boris Herrmann

Der Papst bereist in den kommenden Tagen ein Land, das er schon einmal aufs Übelste beleidigt hat. Jedenfalls wurde es in Mexiko so aufgefasst, als Franziskus im vergangenen Jahr vor einer "Mexikanisierung" seiner Heimat Argentinien warnte. Das Oberhaupt der katholischen Kirche hält eines der besonders katholischen Länder der Welt demnach für den Inbegriff von Drogenkriminalität, Gewaltverbrechen und Korruption. Das saß. Die Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto setzte eine Protestnote auf. Der Vatikan reagierte mit Relativierungen, die wenig an der Tatsache änderten, dass der Papst nicht ganz falsch lag.

Der Drogenhandel und der damit verbundene Horror sind Plagen biblischen Ausmaßes, keineswegs nur in Mexiko, sondern in vielen Gegenden Lateinamerikas, zunehmend auch auf der Route, die über Argentinien verläuft. Aber kein anderer demokratisch verfasster Staat wurde von der Macht der Kartelle zuletzt so ins Wanken gebracht wie Peña Nietos Mexiko. Insofern hat dieses Land Beispielcharakter - als Abschreckung. Das war offenbar mit dem Begriff der "Mexikanisierung" gemeint. Und es ist zunächst einmal richtig, dass ein Kirchenführer, der ja eine moralische Instanz sein will, darauf hinweist. Aber um ganz genau zu sein, hätte Franziskus besser von einer "Ent-Mexikanisierung" sprechen sollen, von einem schleichenden Bedeutungsverlust staatlicher Ordnung auf dem Gebiet, das sich Mexiko nennt.

Das zeigt sich auch an spektakulären Gefängnisrevolten mit vielen Toten, wie jetzt wieder im Bundesstaat Nuevo Leon.

Der Papst besucht ein Land, das auf dem Weg in die Narkokratie ist

Auch Uruguays ehemaliger Präsident José Mujica, der von vielen lateinamerikanischen Linken nahezu wie ein Papst verehrt wird, handelte sich Ärger ein, als er Mexiko als "failed state", als gescheiterten Staat bezeichnete. Das geht wohl in der Tat ein bisschen zu weit. Es gibt in Mexiko weiterhin ein Bildungssystem, eine halbwegs anständige Gesundheitsversorgung, es werden Renten gezahlt und Wahlen abgehalten. Es ist allerdings auch nicht zu leugnen, dass die meisten Mexikaner den Glauben an ein funktionierendes Staatswesen verloren haben. Das muss niemanden wundern: weil in den vergangenen zehn Jahren im mexikanischen Drogenkrieg schätzungsweise 100 000 Menschen gestorben sind und von 27 000 weiteren jede Spur fehlt; weil die wenigsten dieser Verbrechen aufgeklärt werden; und weil immer offensichtlicher wird, dass hier nicht ein Staat gegen das organisierte Verbrechen kämpft, sondern beides miteinander verwoben ist. Die Frage, ob dieses Land eigentlich noch von seinem gewählten Präsidenten oder doch eher von den Kartellbossen regiert wird, ist deshalb nicht völlig aus der Luft geholt.

Zwei besonders schwerwiegende Fälle haben das zuletzt auch für ein internationales Publikum veranschaulicht: Die Ausbruchs-Saga vom mächtigsten mexikanischen Drogenboss Joaquín "El Chapo" Guzmán sowie die 43 spurlos verschwundenen Lehramtsstudenten von Ayotzinapa. Peña Nietos Regierung versucht seit eineinhalb Jahren vergeblich, diesen schauerlichen Fall zu den Akten zu legen, dabei sind bis heute alle relevanten Fragen offen. Ungelöst ist ferner, mit wie viel politischer Unterstützung El Chapo im vergangenen Jahr aus seiner Hochsicherheitszelle spazieren konnte. Und es wirft auch kein gutes Licht auf die Regierung, dass sie die genauen Umstände seiner jüngsten Festnahme der Deutung Hollywoods überließ.

Mexiko befindet sich irgendwo im Zwischenstadium zwischen Demokratie und Narkokratie. Es ist aber eher unangebracht, deshalb in Europa und den USA mit dem moralischen Zeigefinger zu drohen. Denn dort wohnen die meisten Drogenkonsumenten, die den ganzen Irrsinn am Laufen halten. Auch das wäre einmal eine päpstliche Rüge wert.

© SZ vom 12.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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