Mazedonien:Mazedoniens Abstieg ins Chaos

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Die Opposition in Skopje setzt die offenbar korrupte Regierung mit Gesprächs-Mitschnitten zunehmend unter Druck.

Von Florian Hassel, Warschau

Für Spannung ist gesorgt, wenn Zoran Zaev, Oppositionsführer in Mazedonien, einlädt. Auch am Donnerstag bot Zaev seinen Zuhörern brisante Mitschnitte und Transkripte von 27 Gesprächen - offenbar zwischen Ministern bis hinauf zu Regierungschef Nikola Gruevski. Die Mitschnitte sind Fortsetzung eines Skandals, der EU-Kandidat Mazedonien seit Februar erschüttert. Die Regierung unter Gruevski und seinem Vetter, Geheimdienstchef Saso Mijalkov, habe jahrelang illegal mehr als 20 000 Mazedonier abgehört, behauptete der Oppositionsführer. Und legte Belege vor: immer neue Abhörprotokolle und Mitschnitte.

Am explosivsten waren mutmaßliche Gespräche von Regierungsmitgliedern, die offenbar gleichfalls abgehört wurden. Den Mitschnitten zufolge diskutierten die Minister und Gruevski über Wahlfälschung, korrupte Geschäfte und anderen offenbaren Machtmissbrauch. Die Regierung weigert sich bis heute, die Mitschnitte prüfen zu lassen. Doch etliche Abhöropfer, darunter auch Ex-Staatsanwälte, bestätigten die Echtheit der jeweils sie betreffenden Mitschnitte, die der Oppositionsführer von einem besorgten mazedonischen Geheimdienstler bekommen haben will.

In den am Donnerstag veröffentlichten Mitschnitten diskutieren Premier Gruevski, der Geheimdienstchef und die Innenministerin etwa, wie ein für Gruevski gekaufter Mercedes für 575 000 Euro vor der Öffentlichkeit versteckt werden kann. In anderen Gesprächen ging es um offenbar millionenschwere Korruption oder darum, dass private Firmen Flüge bezahlen mussten, mit denen angeblich Mazedonier aus dem Ausland eingeflogen wurden, um für die Regierung zu stimmen.

Die Regierungspartei dementierte alle Vorwürfe - findet aber zunehmend weniger Gehör. Premier Gruevski ist, seit er 2006 die Regierung übernahm, zum Autokraten geworden. Die Opposition boykottiert nach mutmaßlichen Fälschungen bei der letzten Wahl im April 2014 das Parlament. Beim Pressefreiheitsindex der Reporter ohne Grenzen ist das frühere Vorzeigeland Mazedonien von Platz 34 auf heute Platz 117 abgerutscht.

Am Sonntag will die Opposition Gruevskis Rücktritt fordern

Mazedonische Experten warnten im April, die unter Druck stehende Regierung könne Zwischenfälle bis hin zu angeblichem Terror inszenieren, um sich an der Macht zu halten. Am vergangenen Wochenende lieferte sich die Polizei in der Kleinstadt Kumanovo heftige Gefechte mit angeblichen Terroristen - 14 "Terroristen" und acht Polizisten starben. Die angeblich vor allem aus Albanien gekommenen Terroristen hätten staatliche Ziele, Einkaufszentren und Sportveranstaltungen angreifen wollen, so der Premier. Angeblich seien die Überfälle für den kommenden Sonntag geplant gewesen - der Tag, an dem die Opposition bei einem seit Wochen geplanten Protest Gruevskis Rücktritt fordern will.

Experten befürchten, dass die Regierung den blutigen Zwischenfall inszeniert haben könnte. Ex-Geheimdienstchef Goran Mitevski sagte, es klinge unlogisch, dass eine schwer bewaffnete Terrorgruppe unbemerkt von den Behörden hätte agieren können. Ex-General Ilja Nikolovski sagte, er glaube, die angeblichen Terroristen seien bezahlte Söldner gewesen. Oppositionschef Zaev will gar belegen können, dass die Regierung seit eineinhalb Jahren von der bewaffneten Gruppe gewusst habe.

Die Botschafter Deutschlands, der USA, der EU, Englands, Frankreichs und Italiens erwähnten nach Treffen mit Premier und Oppositionschef mit keinem Wort den angeblichen "Terror", sondern sprachen nur von einer "Tragödie" - und bekräftigten, die Regierung habe bei der Aufklärung "der vielen Behauptungen über Missbrauch durch die Regierung" durch die Mitschnitte "keinen Fortschritt gemacht". Für Donnerstag vermittelten die Diplomaten ein Krisentreffen, das jedoch ohne Ergebnis blieb. Regierungschef Gruevski feuerte schon tags zuvor seine engsten Vertrauten, den Geheimdienstchef und die Innenministerin. Oppositionsführer Zaev hält an der für Sonntag geplanten Großkundgebung fest.

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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