Linkspartei:Ein Platz am Stammtisch

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Die Linke leidet daran, dass viele ihrer Wähler nach rechts abwandern. Nun diskutieren sie in Berlin über ihren Umgang mit den Populisten der AfD.

Von Ruth Eisenreich, Berlin

Wären die paar Dutzend Menschen, die sich am Montag in der Thüringer Landesvertretung in Berlin versammelt haben, repräsentativ für alle Wähler der Linken, dann wäre die Sache klar: Die Linke, das ist die Partei der Flüchtlingshelfer. Sie findet die Asylpolitik der Bundesregierung nicht zu liberal, sondern zu restriktiv. "Das Asylrecht ist kein Gnadenakt, sondern ein Grundrecht, deswegen kennt es keine Obergrenzen", sagt Fraktionschef Dietmar Bartsch bei der alljährlichen Ostdeutschland-Anhörung der Linken-Fraktion, bei der es diesmal um "wirtschaftliche Chancen und sozialen Zusammenhalt in der Flüchtlingsfrage" geht. Und: "Steuerflüchtlinge schaden der Gesellschaft, Kriegsflüchtlinge bereichern sie."

Würde Bartsch diese Rede vor der Basis im Osten halten, würde ihm wahrscheinlich auch viel Widerspruch entgegenschwappen. Immerhin sind etwa bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 28 000 der 244 000 Linken-Wähler von 2011 zur AfD gewechselt. Hier in Berlin gibt es trotz zahlreicher Wortmeldungen aus dem Publikum keinen offenen Widerspruch, aber bei den meisten Statements klatscht ein Teil der Zuhörer kräftig, der andere gar nicht. Beim Linken-Parteitag vor gut einer Woche verhinderte eine Torten-Attacke auf Bartsch' Co-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, die sich vor einiger Zeit für eine restriktivere Asylpolitik ausgesprochen hatte, eine kontroverse Diskussion über den Umgang mit Fremdenfeindlichkeit an der eigenen Basis. Bei der Ostdeutschland-Anhörung gibt es keine Torte. Dafür sind sich beim Thema Flüchtlinge alle am Podium ziemlich einig: Vertreter einer restriktiveren Linie sind nicht eingeladen.

Parteichefin Kipping warnt davor, "opportunistisch den Rechtsschwenk mitzumachen"

Zunächst mal leide die Linke nicht mehr als andere Parteien an der Abwanderung zur AfD, sagt Bartsch. Und: Die Flüchtlinge seien nicht der Grund, sondern nur der Anlass von rechtspopulistischem Protest. Das eigentliche Problem seien soziale Konflikte, das Gefühl, abgehängt und benachteiligt worden zu sein. Die Linke müsse sich daher auf ihr Kernthema soziale Gerechtigkeit besinnen, die Unterschiede zu anderen Bundestagsparteien stärker herausstreichen und den Menschen klarmachen, dass man nicht "die Schwachen gegen die Schwächsten ausspielen" wolle. Zumindest in Berlin, sagt Bartsch, werde man mit dieser Position bei der Wahl zulegen.

"Opportunistisch den Rechtsschwenk mitzumachen" sei jedenfalls sowohl inhaltlich als auch wahltaktisch keine Option, denn mit dieser Strategie würde man noch mehr Stimmen verlieren, sagt Parteichefin Katja Kipping: "Wenn man immer wieder die Deutungsmuster der Rechtspopulisten übernimmt, macht man sie stärker."

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jan Korte fordert mehr "Stammtischfähigkeit": "Du musst als Linker nicht alles teilen, was dort gesagt wird, aber du musst in der Lage dazu sein, eingeladen zu werden" - um dann am Stammtisch gegen die Tendenz zu einfachen Lösungen anzukämpfen. Wulf Gallert, Landtags-Vizepräsident in Sachsen-Anhalt, fordert wiederum mehr Nachdenken über Grundwerte. Indem man ständig darüber rede, "was wir den Menschen alles Gutes antun wollen", erziehe man diese zu "Konsumenten". Die würden dann enttäuscht abwandern, wenn nicht alle Ankündigungen erfüllt würden und eine andere Partei noch mehr verspreche.

© SZ vom 07.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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