Linker Thinktank:Programmatische Befruchter

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Sozialdemokraten, Linke und Ökologen wollen eine Denkfabrik gründen, die rot-rot-grüne Bündnisse mit Argumenten füttern soll. Mit dabei ist auch Andrea Ypsilanti.

Marc Widmann

Einen Namen hat das Kind noch nicht, das am Sonntag die Welt erblicken soll, aber seine Eltern haben Großes mit ihm vor. "Es geht um einen gesellschaftspolitischen Gegenentwurf zu dem, was man Neoliberalismus nennt", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer.

Im Vorwärtsgang: Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer (links) wollen "einen Gegenentwurf zum Neoliberalismus" entwickeln. (Foto: Foto: dpa)

An diesem Wochenende will er mit einigen Mitstreitern in Berlin ein neues Projekt ins Leben rufen: Den ersten linken Thinktank der Republik, zu Deutsch eine Denkfabrik, die "ohne parteitaktische Erwägungen" völlig frei über gesellschaftliche und ökologische Probleme diskutieren soll.

Zu den Gründern gehören neben Scheer die frühere SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti aus Hessen, der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold, Mitgründer von Attac, und die linke Bundestagsabgeordnete Katja Kipping. Geht es also auch darum, inhaltliche Konzepte für eine künftige rot-rot-grüne Zusammenarbeit zu entwickeln?

"Es ist sicher kein Zufall, dass Leute aus allen drei Parteien dabei sind", sagt Giegold. Ein Linksbündnis sei derzeit in der Öffentlichkeit relativ unbeliebt und müsse vorbereitet werden. "Diese Vorbereitung hat es bei Rot-Grün nicht gegeben", sagt Giegold, "damals ist die Mehrheit eher hoppladihopp entstanden und es gab zuvor keine breite Debatte, was man sich von einem solchen Projekt erwartet." Auch deswegen sei Rot-Grün auf "Abwegen" gelandet. Ein mögliches Linksbündnis, so kann man seine Worte deuten, muss inhaltlich besser untermauert sein.

Rein organisatorisch wird sich am Sonntag ein Verein gründen, der dann ein Institut trägt. Dieses organisiert Veranstaltungen und veröffentlicht Texte zu grundsätzlichen Themen. Ein Gründungspapier mit einer Reihe von wichtigen Fragen soll am Montag präsentiert werden. "Es geht nicht darum, in Einzelfragen an Stellschrauben zu drehen", sagt Andrea Ypsilanti, "sondern wichtige Zukunftsfragen zu klären." Das passt zu ihrer Ansicht, Politik dürfte sich nicht im Zank um Details verheddern, sondern müsse eine Vision aufzeigen. In ihrem Wahlkampf 2008 erfand sie dazu die "Soziale Moderne".

Nicht nur Politiker wie die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel sollen diese neuen Wege erkunden. Auch Gewerkschafter und Professoren wie der Jenaer Soziologe Stephan Lessenich oder der Bremer Staatsrechtler Andreas Fischer-Lescano beteiligen sich an dem Thinktank. "Es sind nicht nur die üblichen Verdächtigen", sagt Sven Giegold, "auch wenn da ein paar dabei sind."

SPD-Mann Scheer findet für das Projekt fast schon poetische Worte: "Wir wollen die politische Kultur befruchten." Das Gespräch zwischen den Parteien sei von Taktik geprägt. Deshalb verarme die politische Diskussion. Das neue Institut solle dagegen "die programmatischen Batterien wieder aufladen".

Wie das konkret funktionieren soll, ist noch offen. Man werde sich eine Reihe von Fragen stellen, sagt Scheer. Zum Beispiel, wie unter den völlig veränderten wirtschaftlichen und technologischen Bedingungen der Sozialstaat erhalten werden kann. Oder wie sich die parlamentarische Demokratie neu beleben lässt. Von der Außen- und Entwicklungspolitik bis hin zu sozialpolitischen Themen wolle man diskutieren, völlig unabhängig. Deshalb soll das Institut auch keinen Mitarbeiterstab einstellen. Es debattieren die Mitglieder selbst. "Wir machen keine Studien für andere", sagt Scheer. Beim Wort "Fremdaufträge" muss er sogar lachen. So etwas passt nicht zum Plan.

In den USA sind Thinktanks weit verbreitet

"Man wundert sich, dass die Initiative nicht schon früher ergriffen wurde", sagt er. In den USA sind Thinktanks weit verbreitet. Sie stehen häufig einer politischen Richtung nahe; die Parteien bedienen sich gerne bei ihrem Personal. In Deutschland gibt es sie vergleichsweise selten, die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik gehört noch zu den bekannteren.

Bisweilen treffen sich in Berlin schon Abgeordnete zum Ideenaustausch. Sieben junge Parlamentarier von SPD, Grünen und Linken veröffentlichten kürzlich einen Aufruf an ihre Parteien, um die inhaltliche Debatte über ein Linksbündnis anzustoßen. Die Presse taufte sie "Oslo-Gruppe", weil in Norwegen eine rot-rot-grüne Koalition regiert. Wer weiß, vielleicht nennt sich der neue Thinktank ja Oslo-Institut.

© SZ vom 30.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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