Linke:Er geht, er geht nicht

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Gregor Gysi (Archiv) (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Gregor Gysi denkt über einen Rückzug aus der Politik nach. Nur konkret wird er nicht. Die Parteigenossen sind zunehmend genervt von seinem Schweigen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Eigentlich soll es um die Frage einer Regierungsbeteiligung im Bund gehen, um Grundeinkommen und Kommunalpolitik. Wenn die Linke sich kommendes Wochenende in Bielefeld zum Parteitag trifft, dürften politische Botschaften es jedoch schwer haben durchzudringen. Alle Augen richten sich auf Gregor Gysi, der in Bielefeld erklären will, ob er im Herbst wieder als Fraktionschef im Bundestag kandidiert oder aufhört. Auch Gysis Unterstützer machen sich inzwischen auf einen Rückzug des populären Frontmanns gefasst. "Wenn es so kommt, werden wir mit der Frage der Nachfolge etwas zielorientierter umgehen müssen als bisher", hieß es am Sonntag in der Fraktion. Gysi selbst will sich erst beim Parteitag erklären. Allerdings weisen Beobachter darauf hin, dass er seine Familie zum Parteitag eingeladen habe. Das lasse vermuten, dass eine Rede von hoher persönliche Bedeutung bevorstehe, womöglich ein Abschied.

Jenseits solcher Spekulationen gibt es auch andere Hinweise, dass die Linke sich intensiv damit befasst, wie sie Gysi ersetzen könnte. Dem Vernehmen nach überlegt inzwischen die linke Finanzpolitikerin Sahra Wagenknecht wieder, für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren. Das wäre eine Kehrtwende. Wagenknecht, weit links in der Partei, sollte mit dem Reformer Dietmar Bartsch an die Fraktionsspitze treten nach Gysis Rückzug im Herbst, so war der Plan. Im März aber schmiss Wagenknecht hin, nach einem Streit um das Hilfspaket für Griechenland. Es fehle ihr Rückhalt in der Fraktion, auch Lust auf ewige Gremiensitzungen, betonte sie. Seither wurde nach einer anderen Abgeordneten vom linken Flügel gesucht, die mit Bartsch die Fraktion führen könnte. Es fanden sich einzelne Interessenten, aber keine überzeugende Formation mit Bartsch. Gysi mache sowieso weiter, hofften viele Linke. Gysi aber lavierte, ließ sich bitten, schwieg. Nicht wenige Genossen sind besorgt, auch genervt von so viel Selbstinszenierung.

Seit die Lage ernst ist, klopfen die Genossen bei Wagenknecht an

Schlimmer noch aber ist für die Partei die Aussicht auf neue Flügelkämpfe bei einem chaotischen Generationswechsel. In Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wird 2016 gewählt, führende ostdeutsche Landespolitiker der Linken haben Gysi kürzlich gebeten, bis 2017 zu bleiben. Er ringe mit sich, so der Eindruck in der Runde, auch aus preußischem Pflichtgefühlt. Andere wiederum wollen erfahren haben, Gysi habe längst andere Zukunftspläne, auch Verträge unterschrieben, die er nicht aufgeben wolle. Seit deutlich wird, wie ernst die Lage ist, klopfen die Genossen wieder bei Sahra Wagenknecht an: Sie solle es sich noch einmal überlegen, Fraktionschefin zu werden. "Es ist klar, dass sie jetzt bekniet wird", sagt einer aus Wagenknechts Umfeld, "vielleicht überlegt sie." Ein Nein klingt anders.

Selbst ausgewiesene Reformer, die Wagenknechts Linkskurs immer ablehnten, betrachten das Duo Wagenknecht-Bartsch als das kleinste, weil noch stabilste aller Übel, sollte Gysi gehen. "Es wäre von allen Varianten die beste, wir stehen vor großen Herausforderungen, wenn es so kommt", sagt ein Abgeordneter. Und Gregor Gysi? "Es ist nicht leicht, den richtigen Zeitpunkt für den Abschied aus der Politik zu finden", sagte er dem Tagesspiegel. "Wenn sich alle fragen, wann geht der endlich, man selbst es aber nicht mitbekommt, ist es definitiv zu spät."

© SZ vom 01.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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