Lieblingsthema der Republikaner:Abtreibungsdebatte aus politischem Kalkül

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Demonstration von Abtreibungsgegnern in Austin, Texas (Foto: REUTERS)

Nach der Kontroverse ist vor der Kontroverse: Den Kampf um die Akzeptanz der Homo-Ehe haben die US-Republikaner verloren. Nun stürzen sich viele konservative Politiker auf das Thema Abtreibung, um der Basis ihre Prinzipientreue zu beweisen. Das freut die Demokraten.

Von Matthias Kolb

Das historische Urteil des Obersten Gerichts hat es bewiesen: Immer mehr Amerikaner akzeptieren die Ehe von lebischen und schwulen Paaren. Mit der Folge, dass jetzt viele Republikaner strengere Regeln für Abtreibungen fordern. So wollen sie die Basis motivieren und sich als echte Konservative präsentieren. Ein Blick in die Meinungsumfragen zeigt, dass dies funktionieren könnte.

Wer in der Politik erfolgreich sein will, sollte sich nur auf Auseinandersetzungen einlassen, die er oder sie wirklich gewinnen kann. Schon bevor die Richter des Supreme Court Ende Juni ihr wegweisendes Urteil zur Homo-Ehe verkündeten ( mehr zum Thema), war vielen Republikanern klar, dass dieser Kampf verloren war. Seit Jahren registrierten Demoskopen eine wachsende Akzeptanz - bei jüngeren Amerikanern unter 30 liegt der Wert bei eindeutigen 70 Prozent.

Insofern wunderte es nicht, dass nur wenige prominente Republikaner den Richterspruch zur Homo-Ehe geißelten oder gar neue Initiativen im Kongress forderten. Schließlich haben die konservativen Politiker und Aktivisten ein neues Lieblingsthema, mit dem sie ihre Prinzipienfestigkeit unter Beweis stellen können: Abtreibung.

Eine Abtreibungsklinik pro Bundesstaat

Noch im Januar feierte das liberale Amerika den 40. Jahrestag des wegweisenden Urteils Roe v. Wade, doch schon da waren überall viele Gesetzesverschärfungen und Initiativen zu beobachten. So schreiben Bundesstaaten wie Virginia den Frauen vor, dass sie vor einer Abtreibung eine Ultraschalluntersuchung machen müssen. In North Dakota, South Dakota, Arkansas, Mississippi gibt es nur jeweils eine einzige Abtreibungsklinik, was zu langen Reisezeiten führt.

Die Dauer-Rede der Demokratin Wendy Davis gegen die geplante Verschärfung des Abtreibungsgesetzes in Texas hat dem Thema zuletzt noch mehr Aufmerksamkeit beschert und Aktivisten auf beiden Seiten beflügelt. Konservative Strategen verweisen darauf, dass sich die öffentliche Meinung seit Jahren zum Thema kaum wandelt: Das Gallup-Institut gab im Mai bekannt, dass 20 Prozent der Amerikaner Abtreibung niemals erlauben würden, während 26 Prozent den Frauen völlige Wahlfreiheit geben wollten.

Unter jenen, die keine Extremposition vertreten (52 Prozent), spricht sich eine klare Mehrheit für eine gewisse Verschärfung der geltenden Regeln aus. Bisher gilt seit 1973 in den USA der Grundsatz, dass Abtreibungen bis zu jenem Zeitpunkt erlaubt sind, an dem der Fötus außerhalb des Mutterleibs überlebensfähig wäre - dieser Zeitpunkt wird allgemein mit der 24. Schwangerschaftswoche angegeben.

An der Terminregelung setzen viele Anträge der Konservativen an - und hoffen auf Unterstützung der Wähler. Bereits im Juni hat die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus ein Gesetz beschlossen, wonach bundesweit Abtreibungen nach der 22. Schwangerschaftswoche illegal sein sollen. Da die Demokraten den Senat kontrollieren, war das Gesetz reine Showpolitik, die den Abgeordneten eine Chance gab, ihre Basis zu erfreuen.

"Dumm, dieses Thema aufzubringen"

In Washingtoner Politzirkeln wird damit gerechnet, dass Marco Rubio bald seine Unterstützung für ein nahezu identisches Gesetz im Senat erklären wird. Der kubanischstämmige Shooting-Star aus Florida galt zum Jahreswechsel noch als einer der Favoriten für die Präsidentschaftskandidatur 2016, doch seine Unterstützung für eine umfassende Einwanderungsreform hat ihm viele Sympathien bei Tea-Party-Anhängern gekostet. Wenn er nun - ebenfalls rein symbolisch - ein strengeres Abtreibungsrecht sponsert, so das Kalkül, kann er diese wichtigen Wählergruppen wieder beruhigen und für sich einnehmen.

Der Streit um die abortion rights findet nicht nur in Texas statt: Im zutiefst republikanischen North Dakota sollen Abtreibungen schon nach der sechsten oder siebten Woche verboten sein - sobald ein Herzschlag zu hören ist. In Arkansas zogen die Abgeordneten die Grenze bei zwölf Wochen. Diese und andere Gesetze beschäftigen nun diverse Gerichte. Wie so oft im zutiefst polarisierten Amerika wird das Oberste Gericht wohl letztendlich wieder entscheiden müssen (mehr zur Rolle des Supreme Court in diesem SZ-Artikel).

Vor allem im Repräsentantenhaus haben nur wenige Republikaner Bedenken, so offensiv auf Abtreibung zu setzen. "Ich finde es dumm, dieses Thema aufzubringen", sagte Charlie Dent der New York Times. Der Abgeordnete aus Pennsylvania glaubt, dass sich die Amerikaner vor allem eins von ihren Politikern wünschen: Jobs, Jobs, Jobs. Dass diverse Aussagen weißer älterer Männer wie Todd Akin über Vergewaltigungen, Sexualmoral und Abtreibung der Grand Old Party mehrere Sitze im Senat gekostet haben, wird zurzeit verdrängt.

Allerdings werden die Demokraten die amerikanischen Wähler vor den nächsten Kongresswahlen an diese Sprüche erinnern. Der New Yorker Abgeordnete Steve Israel, der sich um die Wahlkämpfe im Repräsentantenhaus kümmert, hat bereits 16 Republikaner ausgewählt, denen er besonders zusetzen will. Diese Abtreibungsgegner seien verwundbar, weil ihre Stimmkreise größtenteils in den Vororten größerer Metropolen liegen, wo viele Bürger liberalere Ansichten vertreten. Diese Politiker gehörten dem out of touch caucus an, tönt Israel: Sie hätten den Bezug zur Realität verloren. Ob die Wähler das auch so sehen, wird sich im November 2014 zeigen.

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