Irak, Syrien, Türkei:Warum die Kurden so zerstritten sind

Irak, Syrien, Türkei: Kurdische Kämpfer im türkischen Grenzort Mürşitpınar gegenüber von Kobanê (Archivbild)

Kurdische Kämpfer im türkischen Grenzort Mürşitpınar gegenüber von Kobanê (Archivbild)

(Foto: AFP)
  • Die Kurden mögen weltweit das größte Volk ohne Staat sein, sie legen aber auch eine einzigartig große Zerstrittenheit an den Tag.
  • Der irakische Kurdenpräsident Massud Barsani will mit der Ideologie der linken PKK nichts zu tun haben.
  • Die PYD trägt als PKK-Ableger die Hauptlast im Kampf gegen den IS und profitiert dabei von den Luftangriffen der Amerikaner. Die wiederum haben sich jetzt an der Seite der Türkei gegen die PKK gestellt.

Von Tomas Avenarius

Das Kurden-Dilemma lässt sich mundgerecht so zusammenfassen: zwei Kurden, drei Standpunkte, vier Parteien oder Milizen. Mindestens. Die Kurden mögen weltweit das größte Volk ohne Staat sein, sie legen aber auch eine einzigartig große Zerstrittenheit an den Tag. Jetzt, wo die türkische Armee die Kämpfer der PKK sowohl in der Türkei als auch im Nordirak unter Feuer nimmt, sollten sich die türkischen Kurden also nicht darauf verlassen, dass ihre irakischen Brüder ihnen zur Seite stehen. Noch gehässiger formuliert: Verrat könnte glatt als ein kurdischer Charakterzug durchgehen.

Aber Verrat ist dann doch das falsche Wort. Für die Kurden, ob in der Türkei, im Irak, in Iran oder in Syrien, geht es immer ums eigene Überleben. Pragmatismus ist für sie keine Tugend, er ist Ausgeburt der Not. Weshalb der irakische Kurdenpräsident Massud Barsani, der jahrelang gegen den Diktator Saddam Hussein gekämpft hatte, den PKK-Führern bei Beginn der türkischen Offensive im Tonfall eines Friedensengels ans Herz legte: "Mit Waffen werdet ihr nie durchsetzen, was ihr mit friedlichen Mitteln erreichen könnt." Am besten sei es, "Konflikte durch Verhandlungen zu lösen".

Barsani weiß, warum er warnt. Seit dem Sturz des Saddam-Regimes regiert er ungestört von der Bagdader Zentralregierung, er weitet die nordirakische Autonomie immer mehr aus. Das Kurdengebiet ist formal kein eigener Staat, aber es hat de facto eine eigene Armee. Die Wirtschaft boomt nicht nur im Vergleich zum Rest-Irak, selbst Erdöl wird gegen Bagdads Willen verkauft. In den Bürgerkrieg im benachbarten Syrien oder in den jetzt wieder aufflammenden Kurdenkrieg im Osten der Türkei will der irakische Kurdenführer auf keinen Fall hineingezogen werden.

Irak, Syrien, Türkei: SZ-Karte

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Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien strömen zwar kurdische Flüchtlinge ins Autonomiegebiet. Offen verstrickt in den Konflikt sind die irakischen Kurden bisher jedoch nicht. Sie kämpfen wie die syrischen Kurden gegen den Islamischen Staat (IS), aber sie tun es meist auf irakischem Boden. Ideologisch will der konservative Kurdenführer Barsani, der im tiefsten Herzen ein orientalischer Feudalherr ist, mit der linken PKK-Ideologie ohnehin nicht viel zu schaffen haben. Auch hier tun sich hohe Hürden für mehr kurdische Einigkeit auf.

Bei den syrischen Kurden sieht es anders aus. Ideologisch stehen sie der türkischen PKK nahe; die syrische Kurdenpartei PYD ist im Grunde ein PKK-Ableger. Ähnlich wie bei der Mutterorganisation ist der militärische Flügel der PYD stark. Die PYD trägt einen Großteil der Last im Krieg gegen den IS in den syrischen Kurdengebieten, etwa um die Grenzstadt Kobanê. Derzeit kämpfen viele PKK-Kurden in ihren Reihen. Wenn die PYD wegen des Kriegs in Ostanatolien auf diese Kämpfer verzichten müsste, wäre sie geschwächt.

Noch komplizierter wird es, wenn es um die internationale Luftkriegs-Koalition gegen den IS geht. Ohne die US-Jets am Himmel hätten die syrischen Kurden sich den Dschihadisten kaum widersetzen, Kobanê schwer halten können. Die USA haben sich aber jetzt im türkischen "Anti-Terror-Krieg" gegen den IS und gegen die PKK voll hinter Ankara gestellt. Da zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, dürfte für die syrischen Kurden ziemlich schwierig werden.

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