Merkel vor dem Kundus-Ausschuss:Die letzte Zeugin

Hat die Regierung Informationen über tote Zivilisten beim Luftangriff vom Kundus zurückgehalten? Die Kanzlerin sagt: Nein. Dafür belastet sie Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung vor dem Kundus-Ausschuss schwer.

Kanzlerin Angela Merkel hat Kritik am Krisenmanagement ihrer Regierung nach dem Luftschlag von Kundus vehement zurückgewiesen. Alle Unterstellungen, die Bundesregierung sei nicht an einer umfassenden Aufklärung interessiert gewesen und sie habe wegen des Wahlkampfs 2009 sogar etwas vertuschen wollen, seien völlig aus der Luft gegriffen, sagte die CDU-Vorsitzende vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages in Berlin: "Das Gegenteil war der Fall." Sie habe sich nach dem 4. September 2009 ein umfassendes Bild der Lage gemacht und alle ihr verfügbaren Informationen in die Meinungsfindung einfließen lassen, betonte Merkel.

Kundus-Untersuchungsausschuss

Angela Merkel(CDU) vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss: Die Kanzlerin sagte nach SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier aus.

(Foto: dapd)

Vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss verwies die CDU-Vorsitzende auf ihre Regierungserklärung vom 8. September 2009. Damals hatte sie zivile Opfer nicht ausgeschlossen, vor einer Beschönigung der Lage gewarnt und sich Vorverurteilungen aus dem Ausland verbeten. Es gelte unverändert das, was sie damals gesagt habe, erklärte Merkel. Gleichzeitig äußerte sie die Hoffnung, dass die Untersuchungen nach dazu beitragen, "folgenreiche Ereignisse" - wie jenes am 4. September 2009 - "in Zukunft zu verhüten".

Merkel erklärte, sie habe es damals "für unverzichtbar gehalten", seitens der Bundesregierung Stellung zu den Vorfall am 4. September zu nehmen, bei dem nach einem Bombenabwurf auf zwei Tanklaster bis zu 142 Menschen getötet wurden.

Die Kanzlerin ließ die Abläufe Revue passieren. Mit Blick auf den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), der den Angriff als militärisch angemessen eingestuft hatte, sagte die Kanzlerin, es habe zu dem Vorfall "unterschiedliche Bewertungen" gegeben. Sie habe Jung daher am Tag nach dem Angriff telefonisch aufgefordert, in seine Bewertung auch die bereits verfügbaren Berichte über zivile Opfer einzubeziehen.

Steinmeier: Zäsur für Afghanistan-Einsatz

Zuvor hatte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier den Luftangriff als Zäsur für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan bewertet. Angesichts der damaligen Bemühungen um eine internationale Neuausrichtung des Einsatzes und der deutschen Leitlinie, möglichst zivile Opfer zu vermeiden, sei die hohe Zahl der Toten bei dem Bombardement "auch politisch kritisch" gewesen, sagte der damalige Außenminister vor dem Kundus-Ausschuss des Bundestages.

Merkel und Steinmeier sind die letzten von insgesamt 40 Zeugen des Ausschusses. Bei der Bombardierung zweier von Taliban entführter Tanklaster nahe der nordafghanischen Stadt Kundus am 4. September 2009 gab es mehr als 100 Tote und Verletzte, darunter viele Zivilisten.

Ein deutscher Oberst hatte den Einsatz angeordnet, von US-Piloten gesteuerte Nato-Kampfflugzeuge warfen dann mehrere Bomben auf die Laster ab. Eine entscheidende Frage ist, ob die Regierung vor der Bundestagswahl am 27. September 2009 bewusst Informationen über zivile Opfer zurückhielt, um ihre Wahlchancen nicht zu beeinträchtigen.

Steinmeier sagte wiederholt, es habe damals direkt nach dem Angriff eine unklare Nachrichtenlage über die Folgen und Opfer gegeben. "Die Aufklärungslage war unklar, diffus und zum Teil widersprüchlich." Aus diesem Grund habe er auch vermieden, öffentlich zu sagen, es habe keine zivilen Opfer gegeben. "Gewissheit über zivile Opfer gab es nicht."

Nach Jahren in politischen Ämtern wisse er, dass man bei Einschätzungen und Festlegungen gegenüber der Öffentlichkeit vorsichtig sein müsse, solange es keine klaren Ermittlungserkenntnisse gebe.

SPD-Politiker: Merkel hat sich "weggeduckt"

SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold hatte im Vorfeld der Aussagen der beiden prominenten Zeugen im Südwestrundfunk gesagt, Merkel habe sich bei der Aufklärung der Kundus-Affäre "ein bisschen weggeduckt". Offenkundig sei, dass die Kanzlerin nach einem so "gravierenden Vorgang" wie dem damaligen Luftangriff mit den vielen zivilen afghanischen Opfern "nicht von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht" habe, als es um die Aufklärung ging. Die SPD wolle von Merkel außerdem wissen, ob sie den Angriff für angemessen halte, sagte Arnold.

Nouripour: Kanzlerin wusste früh von zivilen Opfern

Der heutige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte den Luftschlag zunächst als militärisch angemessen bezeichnet, diese Einschätzung aber später revidiert. Guttenberg war zum Zeitpunkt des Luftschlags noch nicht Verteidigungsminister, aber unmittelbar nach seinem Amtsantritt mit der Bewertung und Aufarbeitung befasst.

Die Grünen wollten klären, warum der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung zivile Opfer auch dann noch in Zweifel zog, als Merkel bereits eine solche Möglichkeit eingeräumt hatte. "Wenn ein Minister in der Frage von Leben und Tod etwas Falsches sagt, muss die Bundeskanzlerin ihre Richtlinienkompetenz wahrnehmen", sagte der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour vor der Sitzung. Es gehe dabei nicht um die Frage, ob Merkel zurücktreten solle. "Es geht um die Lehren aus dieser Katastrophe und den Informationspannen."

Wenige Stunden nach dem Angriff habe das Kanzleramt Informationen des Bundesnachrichtendienstes erhalten, wonach mit toten Zivilisten zu rechnen sei. "Ich gehe davon aus, dass die Kanzlerin bereits am 4. September von zivilen Opfern wusste", sagte Nouripour. Das Auswärtige Amt habe einige Tage später eine Liste mit den Namen ziviler Opfer bekommen. Dann habe die Regierung vor der Bundestagswahl am 27. September aber nicht mehr klar darüber gesprochen. Es sei vermutlich befürchtet worden, dass die Linke, die den Afghanistan-Einsatz strikt ablehnt, bei der Wahl Zulauf bekommen könnte.

Bis zur Wahl gab es für die Öffentlichkeit keine detaillierten Informationen der Regierung über den Angriff und die Opfer. Das Verteidigungsministerium hatte über Tage mitgeteilt, es gebe keine Beweise für zivile Opfer.

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