Krise in Somalia:Pirat mit Diplomatenpass

Die Vereinten Nationen erheben schwere Vorwürfe gegen die somalische Regierung. Zwei Drittel der Staatseinnahmen sind verschwunden, und Präsident Scharif Scheich Ahmed protegiert Seeräuber. Die EU soll jetzt beim Aufbau einer Küstenwache helfen - das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf verabschiedet, der private Sicherheitskräfte auf Handelsschiffen legitimieren soll.

Tobias Zick

Es ist ein Jubiläum, das keinen Grund zum Feiern gibt. An diesem Freitag vor einem Jahr haben die Vereinten Nationen in mehreren Gegenden Somalias eine Hungersnot ausgerufen - extreme Dürre am Horn von Afrika hatte zu gewaltigen Ernteausfällen geführt. Zehntausende Menschen starben, Hunderttausende flohen in die Nachbarländer, allen voran nach Kenia, wo im Flüchtlingslager Dadaab heute mehr als 463.000 Menschen vegetieren.

Zwar sind Sterblichkeit und Unterernährung dank ergiebigerer Regenfälle und internationaler Hilfsaktionen deutlich zurückgegangen, doch immer noch gehört die Lage in Somalia laut UN-Flüchtlingshilfswerk zu den "weltgrößten und längsten Flüchtlingskrisen". Jedes fünfte Kind unter fünf Jahren ist von akuter Unterernährung bedroht, viele Felder liegen wegen des Bürgerkriegs brach, Tausende sind auf der Flucht vor islamistischen Milizen.

Und die Wurzeln des Elends wuchern weiter. Am Mittwoch wurde im Internet ein vertraulicher Bericht der UN-Überwachungsgruppe für Somalia veröffentlicht, der schwere Vorwürfe gegen die Regierung in Mogadischu erhebt: Präsident Scharif Scheich Ahmed soll einen Piratenführer namens Mohammed Abdi Hassan Afweyne protegiert haben - unter anderem, indem er ihm einen Diplomatenpass ausstellen ließ. Den nutzte der Pirat Afweyne demnach unter anderem, um im April unbehelligt seine Familie in Malaysia zu besuchen.

Nicht ausgeschlossen, so berichten die Experten, dass auch islamistische Milizen der Gruppe al-Shabaab mit Diplomatenpässen ins Ausland gereist sind. Zudem seien mindestens 68 Prozent der Staatseinnahmen von 2009 und 2010 spurlos verschwunden. Ein hoher Finanzbeamter wird mit den Worten zitiert: "In dieser Regierung geschieht nichts, ohne dass jemand fragt: 'Was springt dabei für mich heraus?'" Ein Sprecher der Regierung weist die Vorwürfe als "absolut und nachweislich falsch" zurück.

Jene Regierung, auf die die internationale Gemeinschaft im Kampf gegen Piraten und Terroristen setzt, erweist sich selbst als zutiefst korrupt: Es ist eine Ernüchterung für alle, die in Somalia in jüngster Zeit den einen oder anderen Lichtschimmer am Ende des Tunnels zu erblicken glaubten. Truppen der Afrikanischen Union haben mit finanzieller Unterstützung aus Europa und den USA die islamistischen Al-Shabaab-Milizen, die im Februar diesen Jahres ihren Beitritt zum Terrornetzwerk al-Qaida erklärt hatten, aus der Hauptstadt Mogadischu vertrieben.

Und im ersten Halbjahr 2012 sind die Piratenattacken vor Somalia gegenüber dem Vorjahres-Zeitraum um etwa die Hälfte zurückgegangen - was auch auf die europäische Anti-Piraterie-Mission "Atalanta" zurückgeführt wird, an der Deutschland beteiligt ist. Am kommenden Montag wird die deutsche Fregatte Sachsen mit 250 Mann an Bord von Wilhelmshaven aus Richtung Somalia in See stechen, um dort die Fregatte Bremen abzulösen. An Bord sollen auch Spezialkräfte sein, die für das Entern anderer Schiffe ausgebildet sind.

"Es gelingt nicht, die Ursachen der Piraterie auszutrocknen"

Trotz der insgesamt positiven Entwicklung zieht der Leiter der Strategie-Abteilung im französischen Außenministerium, Michel Miraillet, eine kritische Bilanz: "Es gelingt uns zwar, das Phänomen auf See einzudämmen, aber nicht, seine Ursachen an Land auszutrocknen", sagte er der Zeitung Le Monde.

Deshalb hat am Dienstag die Europäische Union zusätzlich eine auf 22,8 Millionen Euro dotierte zivile Expertenmission mit dem Titel Eucap Nestor beschlossen. In deren Rahmen sollen Somalia und seine Nachbarländer im Aufbau von Küstenwachen sowie in der Ausbildung von Polizisten und Richtern unterstützt werden.

Zudem hat das Bundeskabinett am Mittwoch einen Gesetzentwurf verabschiedet, der den Einsatz privater Sicherheitskräfte an Bord von Handelsschiffen - der längst gängige Praxis ist - unter klaren Regeln legitimieren soll: Demnach dürften künftig nur noch solche Sicherheitsfirmen eingesetzt werden, die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle eine zeitlich befristete Lizenz erhalten haben. Ein Kriterium soll darin bestehen, dass keine vollautomatischen Waffen eingesetzt werden.

Die Verfasser des UN-Reports zu Somalia hatten den Trend zur immer stärkeren Präsenz privater Sicherheitsfirmen in der Region scharf kritisiert: Die Unternehmen setzten zunehmend "schwimmende Waffenlager" ein; etwa 18 davon soll es inzwischen im Roten Meer, im Golf von Oman und vor der mosambikanischen Küste geben, außerhalb jeglicher Kontrolle durch internationale Behörden. Dadurch würde der illegale Waffenhandel am Horn von Afrika zusätzlich begünstigt.

Das UN-Mandat für die somalische Übergangsregierung läuft bis 20. August, dann soll sie von einer neu gewählten Regierung abgelöst werden. Die Rahmenbedingungen sind alles andere als rosig: Am Montag ist in Mogadischu ein Abgeordneter durch eine Autobombe getötet worden. Und die neuen Korruptionsvorwürfe lassen, so die UN-Experten, wenig Hoffnung auf einen sauberen Machtwechsel.

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