Korruptionsskandal:Türkische Justiz weist Erdoğan in die Schranken

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Muss einen weiteren Rückschlag hinnehmen: Der türkische Premier Erdoğan (Foto: REUTERS)

Das Oberste Gericht der Türkei stoppt Premier Erdoğan. Seine Regierung bekommt keine Vorab-Informationen zu Ermittlungensverfahren - der neue Höhepunkt des Machtkampfs in der Korruptionsaffäre.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Der Korruptionsskandal in der Türkei wird zu einer Machtprobe zwischen Regierung und Justiz. Der Staatsrat, das oberste Gericht der Türkei, annullierte am Freitag eine hochumstrittene Regelung, mit der die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan erst vor wenigen Tagen Polizisten und Staatsanwälte verpflichtet hatte, die Gouverneure und andere höhere Dienststellen vorab von ihren jeweiligen Ermittlungen zu informieren. Das Gericht folgte einem Antrag der Anwaltskammer Ankara.

Zuvor hatte bereits der "Höchste Rat der Richter und Staatsanwälte" (HSYK) die Vorschrift als "nicht verfassungsgemäß" verurteilt, woraufhin der neue Justizminister Bekir Bozdag meinte, das Gremium dürfe ohne sein Wissen überhaupt keine solche Erklärung abgeben. Erdoğan selbst nannte den Widerspruch des HSYK am Freitag in einer Rede "kriminell".

Bereits am Donnerstag war der in der Korruptionsaffäre ermittelnde Istanbuler Staatsanwalt Muammer Akkas abgelöst worden. Mehrere Medien druckten am Freitag eine schriftliche Erklärung von Akkas. Er beschwert sich darin, gegen seinen Willen von seinen Aufgaben entbunden worden zu sein. Akkas hatte nach eigenen Angaben weitere Festnahmen in der Affäre vorbereitet. Die Polizei weigerte sich aber, die Order auszuführen. Damit sei den Verdächtigen die Möglichkeit gegeben worden, Beweismaterial zu zerstören, betonte Akkas.

Die Regierung hatte nach der ersten Verhaftungswelle - unter anderen traf es Ministersöhne - bereits den Polizeipräsidenten von Istanbul und zahlreiche leitende Beamte versetzt. Der neue oberste Istanbuler Staatsanwalt, Turan Colakkadi, warf seinem entmachteten Kollegen vor, gegen Gesetze verstoßen zu haben.

Die Zeitung Zaman listete einige der neuen angeblichen Korruptionsfälle auf, die Akkas untersuchte: Verkauf von Staatsland weit unter Preis, manipulierte Ausschreibungen beim Bau der U-Bahn in Istanbul und der Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Istanbul und Ankara, Seltsamkeiten beim Besitzwechsel von Medienkonglomeraten. Akkas soll, so meldeten Oppositionsblätter, auch beabsichtigt haben, Erdoğans Sohn Bilal vorzuladen.

Drei AKP-Abgeordnete aus der Partei ausgetreten

Der Tumult in der Justiz und die gesamte Korruptionsaffäre sorgen auch in der Regierungspartei AKP für immer mehr Spannungen. Drei AKP-Abgeordnete traten am Freitag aus der Partei aus. Alle drei waren zuvor wegen kritischer Äußerungen vor das Parteigericht zitiert worden, unter ihnen der ehemalige Kulturminister Ertugrul Günay. Er warf der AKP nun "Arroganz" vor. Der Abgeordnete Erdal Kalkan aus Izmir schrieb in einer Twitter-Botschaft: Er verlasse die AKP, um sie wissen zu lassen, "das sich die Welt dreht und die Leute nicht dumm sind".

Vier weitere AKP-Abgeordnete hatten schon in den vergangenen Tagen die Partei verlassen, unter ihnen der vom Regierungschef wegen Korruptionsvorwürfen entlassene bisherige Bauminister Erdoğan Bayraktar. Der Premier hatte erst am Donnerstag versucht, mit einer umfangreichen Kabinettsumbildung die Regierungskrise zu entschärfen.

Erstmals seit Bekanntwerden der schon seit Monaten in größter Geheimhaltung geführten Korruptionsermittlungen hat sich nun auch die türkische Armee zu Wort gemeldet. Auf der Webseite der Streitkräfte hieß es, die Armee wolle sich nicht in politische Debatten einmischen. Sie werde die Entwicklungen aber genau verfolgen, auch unter dem Gesichtspunkt, "dass man den Regeln des Rechtsstaats und der Gerechtigkeit treu bleibt".

Die Generäle haben in der Türkei seit 1960 drei Mal geputscht und zuletzt 1997 eine gewählte Regierung - ohne Waffengewalt - aus dem Amt gedrängt. In elf Jahren AKP-Regierung wurde der politische Einfluss des Militärs - mit Unterstützung der EU - fast ganz beseitigt.

© SZ vom 28.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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