Konjunktur:Die Gunst der Stunde

Lesezeit: 2 min

Warum die führenden Wirtschaftsinstitute jetzt vorschlagen, die Steuerzahler in Deutschland finanziell deutlich zu entlasten.

Von Guido Bohsem

Die Diagnose der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist eindeutig: Deutschland hat ein Problem - was die Höhe der Steuern und Abgaben auf den Arbeitslohn angeht. Die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik werden weitaus höher belastet als Erwerbstätige im Durchschnitt der OECD-Länder. Schlimmer noch: Die Steuer- und Abgabenlast auf die Arbeitslöhne zählt im Vergleich sogar zu den höchsten.

Auch nach Einschätzung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hat die Belastung durch Steuern und Abgaben in den vergangenen Jahren merklich zugenommen. Dies liegt ihrer Meinung nach weniger an den Abgaben, sondern an den Steuern. Die sind zwar nicht erhöht worden, doch konnte sich der Staat durch den steigenden Verlauf der Einkommensteuer einen höheren Anteil am Einkommen sichern. Betrug der Anteil der Steuerbelastung an den Bruttogehältern 2010 etwa 15 Prozent, so lag er im vergangenem Jahr bei deutlich mehr als 16 Prozent, heißt es im Frühjahresgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute. Um die Belastung der Arbeitseinkommen zu senken, schlagen sie Dreierlei vor. Alles aber läuft darauf hinaus, die durch die gute Konjunktur ungewöhnlich hohen Steuereinnahmen des Staates zur Entlastung zu nutzen.

So fordern die Ökonomen die Koalition auf, die Überschüsse der Sozialversicherungen nicht mehr zum Ausgleich der Staatsfinanzen zu nutzen, wie dies die Koalition etwa bei den Reserven im Gesundheitsfonds getan hatte. Stattdessen sollte der Bund seine Zuschüsse an die Sozialkassen erhöhen, um dort Leistungen zu finanzieren, die nicht zu den Kernaufgaben der Gesundheit oder der Rente gehören. Die Mütterrente ist dafür ein Beispiel.

Angesichts der Überschüsse in den Haushalten sei die Zeit aber auch so günstig wie nie, die Lohn- und Einkommensteuer zu reformieren, heißt es in dem Gutachten. In diesem Zusammenhang wollen die Wissenschaftler zum einen dauerhaft gegen die sogenannte kalte Progression vorgehen. Diese Kombination aus steigendem Verlauf der Einkommensteuer und Inflation kann dazu führen, dass Beschäftigte nach einer Gehaltserhöhung real weniger in der Tasche haben als vorher. Die Ökonomen wollen den Effekt nun aufheben und schlagen dazu einen Automatismus vor, der den Tarif in jedem Jahr an die Inflationsentwicklung anpasst.

Der Mittelstandsbauch soll verschwinden

Aber auch den Tarifverlauf selbst wollen die Wissenschaftler ändern. So müsse geändert werden, dass der Spitzensteuersatz schon bei einem zu versteuernden Einkommen von 50 000 Euro im Jahr greife, und dass die Steuerlast bei kleinen und mittleren Einkommen besonders stark ansteigt - ein Effekt, der Mittelstandsbauch genannt wird. Sollte dieser abgeschafft werden, muss der Staat auf insgesamt 25 Milliarden Euro verzichten.

Die SPD steht den Vorschlägen offen gegenüber. "Der Vorschlag der Institute ist grundsätzlich wert, ihn näher zu diskutieren", sagte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Carsten Schneider. Notwendig sei eine umfassende Tarifreform, die vor allem untere und mittlere Einkommen entlaste. "Die SPD steht einer solchen steuerpolitischen Diskussion offen gegenüber." Klar sei aber auch, dass entstehende Mindereinnahmen durch den Abbau von Subventionen teilweise gegenfinanziert werden müssten.

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: