Kolumbien:Im Angebot: ein normales Leben

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50 Jahre Bürgerkrieg - und die Sehnsucht nach Frieden: Graffito in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. (Foto: Raul Arboleda/AFP)

Regierung und Farc-Rebellen sind einem Waffenstillstand so nah wie nie. Was aber wird aus den Kämpfern?

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos wird sich am Donnerstag in Washington mit Barack Obama treffen. Die beiden wollen ein Jubiläum feiern: 15 Jahre "Plan Colombia", wobei die Meinungen auseinander gehen, ob es da eigentlich etwas zu feiern gibt. Es geht um 15 Jahre, in denen die USA den Krieg gegen die Farc-Guerilla und den Drogenhandel mit fast zehn Milliarden Dollar unterstützten. Es waren blutige Jahre, ein Großteil des Geldes ging an die kolumbianische Armee, die sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig machte und den Kampf mit einer Brutalität führte, die jener der Guerilleros in nichts nachstand. Trotzdem werden Santos und Obama wohl einvernehmlich zu dem Ergebnis kommen, dass sich der Einsatz gelohnt hat.

Aus einem Staat am Rande des Zusammenbruchs ist wieder eine Demokratie mit funktionsfähigen Institutionen geworden. Die Mordrate befindet sich auf einem historischen Tiefstand. Und die Farc sind geschwächt, auch deshalb sehnen sich ihre Anführer im Verhandlungsexil in Havanna nach Frieden. Einer der ältesten kriegerische Konflikte der westlichen Hemisphäre steht kurz vor einem historischen Waffenstillstand. Wenn es denn so käme, ist aus Bogotá und Washington zu hören, dann hätte sich Plan Colombia allemal gelohnt. Ganz so weit ist es allerdings nicht.

Für den endgültigen Friedensschluss gibt es eine Deadline, die immer näher rückt: der 23. März 2016. So haben es Santos und der Farc-Anführer Timoleón Jiménez bei ihrem denkwürdigen Handschlag von Havanna im September vereinbart. Von Insidern ist zu hören, dass man von einer sturen Fixierung auf diesen Termin wegkommen will. Auf ein paar Tage früher oder später komme es nach über 50 Jahren Krieg auch nicht mehr an.

US-Präsident Obama will den Weg zum Frieden nun mit einer Art "Plan Colombia 2.0" unterstützen. Santos hat bereits konkrete Ideen, was der - neben weiterer finanzieller Unterstützung - beinhalten könnte. Er wird am Donnerstag darum bitten, dass Washington die Farc von der Terrorliste streicht und Haftbefehle gegen ihre Führungsriege aufhebt. Santos muss den Guerilleros etwas anbieten, um sie bis zum anvisierten Termin zur vollständigen Kapitulation zu bewegen. "Jeder Schritt der USA, der rechtliche Übergangsmöglichkeiten eröffnet, wäre extrem hilfreich", sagte Santos vor seiner Abreise.

Ob ihm Obama so weit entgegen kommt, darf indes bezweifelt werden. Zwar deutete Bernard Aronson, der US-Sondergesandte für den kolumbianischen Friedensprozess, an, dass Washington grundsätzlich bereit sei, über eine Aktualisierung der Terrorliste zu reden; allerdings erst nach dem endgültigen Friedensschluss und der vollständigen Entwaffnung der Guerilla.

Auch Deutschland hat einen Sondergesandten für diesen Friedensprozess, den grünen Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs. Für ihn steht fest: "Die Farc müssen runter von der Terrorliste", in dieser Frage müssten sich auch die Europäer bewegen. Alles andere, so Koenigs, würde die bisherigen Vereinbarungen von Havanna konterkarieren. Santos und die Farc hatten sich dort auf eine Übergangsjustiz geeinigt. Sie sieht für geständige Täter eine "möglichst weitgehende Amnestie" vor. Der Guerilla wird in Aussicht gestellt, sich in eine Partei zu verwandeln. Es ist ein Frieden, der vielen wehtut, aber laut Santos ist es die einzige Chance, den Krieg zu beenden.

Koenigs hat Santos vor wenigen Tagen in Bogotá getroffen, er sagt, er habe den Präsidenten als "ungeheuer optimistisch" erlebt. Tatsächlich konnte der zuletzt weitere Verhandlungserfolge vorweisen. Mitte Dezember einigte sich seine Regierung mit der Farc-Führung auf eine Regelung zur Entschädigung der Opfer, im Januar auf eine UN-Mission, die zwölf Monate lang den Waffenstillstand beobachten soll. Das galt vor wenigen Monaten noch als unvorstellbar. Zugleich scheint auch bei Kolumbiens zweitgrößter Guerillaorganisation, der ELN, die Bereitschaft zum Dialog zu wachsen.

Am Ende müssen die Kolumbianer in einem Referendum über den Friedensplan abstimmen

Während die ELN sich aber weiterhin mit Waffen wehrt, sind die Untergrundkämpfer der Farc offenbar bereit, in ein ziviles Leben zurückzukehren. Bleibt die Frage, ob die kolumbianische Zivilgesellschaft bereit ist, sie aufzunehmen. Koenigs ist sich da nicht so sicher. Seit er die Ergebnisse zur Übergangsjustiz als "einzigartig" bezeichnete, ist auf dem Twitter-Account des Bundestagsabgeordneten die Hölle los. "Ein Shitstorm aus Kolumbien", sagt Koenigs. "Klar ist das einzigartig, nie zuvor gab es so viele Zugeständnisse für Kriminelle", Hunderte solcher Kommentare in spanischer Sprache sind zuletzt bei ihm eingegangen.

Die Polarisierung in der kolumbianischen Bevölkerung nimmt zweifellos zu. Laut Vereinbarung müssen die Bürger aber noch über den endgültigen Friedensvertrag abstimmen. Es wird ein Referendum geben. Koenigs sagt: "Da wird eine plakative Frage an das Volk stehen: Sind Sie für diesen Frieden, ja oder nein?"

Es ist nicht völlig auszuschließen, dass am Ende das Ergebnis von 15 Jahren Plan Colombia und drei Jahre Verhandlungen in Havanna demokratisch abgeschmettert wird.

© SZ vom 04.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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