Köhler contra Schwan:"Sprache ist ein Spiel mit dem Feuer"

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Sprach-Experte Klimke über die Ziele, die Köhler und Schwan mit ihrer Sprache verfolgen, welcher Politiker dem Bundespräsidenten rhetorisch am nächsten steht und wer das Spiel mit der Sprache besser beherrscht.

Birgit Kruse

Martin Klimke studierte Geschichte, Anglistik und Amerikanistik. Seit 2005 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Heidelberg Center for American Studies und zurzeit Gastwissenschaftler am Deutschen Historischen Institut, Washington, DC.

Horst Köhler und Gesine Schwan treten zur Wahl für das Amt des Bundespräsidenten an. So sehr sie sich politisch unterscheiden, so unterschiedlich ist auch ihre Rhetorik. (Foto: Foto: ddp)

Gemeinsam mit den Linguisten Dr. Noah Bubenhofer und PD Dr. Joachim Scharloth vom Deutschen Seminar der Universität Zürich leitet er die Forschungsgruppe "Semtracks Political Tracker", ein Projekt zur Untersuchung politischer Rhetorik und Sprache im Wahlkampf.

Die Analyse zur Rhetorik von Bundespräsident Horst Köhler und seiner Herausforderin Gesine Schwan beruhen auf der Auswertung der Interviews, Namensbeiträge, Reden und Blog-Beiträge, wie sie auf www.gesine-schwan.de zu finden sind, und der Reden und Interviews von www.bundespraesident.de.. Die Studie zur politischen Rhetorik von Gesine Schwan und Horst Köhler wird am Freitag unter http://semtracks.com veröffentlicht.

sueddeutsche.de: Herr Klimke, wenn Sie Köhler und Schwan mit je einem Adjektiv beschreiben müssten. Welches würden Sie wählen?

Martin Klimke: Für Köhler ist das ganz klar "international". Für Schwan "sozial".

sueddeutsche.de: Dann ist der rhetorische Graben zwischen beiden mindestens genauso groß wie der politische?

Klimke: Das kann man sagen. Die Rhetorik der beiden unterscheidet sich sehr. Das hat aber nicht unbedingt was mit den politischen Lagern zu tun, für die die beiden stehen, sondern mehr mit den unterschiedlichen Rollen: Horst Köhler ist der Amtsinhaber, Gesine Schwan die Herausforderin.

sueddeutsche.de: Was sind die markantesten Unterschiede?

Klimke: Köhler verweist sehr stark auf seine Kompetenz und sein Expertentum. Er hat einen sehr repräsentativen Stil. Das wird an den vielen Paar- und Drillingsformen deutlich, die er verwendet. Typisch für ihn sind Formulierungen wie "Kreativität und Innovation", "Wissen und Weitsicht" oder "Aufgaben, Interessen und Botschaften". Frau Schwan muss sich als Herausforderin mehr profilieren und ihr eigenes thematisches und politisches Programm starten. Man sieht das daran, dass sie in ihren Reden sehr stark ichbetont spricht. Der interessanteste Unterschied ist jedoch, wie stark Schwan in die Gefühlswelt der Individuen eintaucht.

sueddeutsche.de: Redet Gesine Schwan also typisch frau?

Klimke: Bundeskanzlerin Merkel weist deutlichere linguistische Merkmale einer Frauensprache auf als Gesine Schwan. Merkel verwendet häufig intensivierende und emotional besetzte Wörter wie "unglaublich" oder "vollkommen". Sie schwächt ihre Aussagen auch oft ab mit Formulierungen wie "ich glaube" oder "ich vermute" und benutzt informelle Ausdrücke wie "toll" oder "spannend". Das ist bei Schwan nicht der Fall.

sueddeutsche.de: Sondern?

Klimke: Schwan bedient sich einer stark individualisierten Sprache. Das ergibt sich aus der Rolle der Herausforderin. Sie leitet ganz oft Sätze mit "Ich habe" ein. Sie verwendet auch sehr oft das Wort "nicht", um sich abzugrenzen. Das dient der Schärfung des eigenen Profils. Außerdem verwendet Schwan eine emphatischere Sprache als der Amtsinhaber. Das verraten vor allem die Adjektive, die sie verwendet, wie zum Beispiel "sozial", "individuell" oder "entfesselnd". Bei Köhler findet man häufig Adjektive wie "international", "deutsch" oder "demographisch". Er steht für einen repräsentativen Sprachstil.

sueddeutsche.de: Distanziert sich Köhler mit seiner Rhetorik nicht stark von den Bürgern?

Klimke: Das kann man nicht sagen. Köhler schafft einen Spagat. Auf der einen Seite ist er der Mann, der für Kompetenz und Sachthemen steht. Er ist aber auch in der Lage, eine Bindung zum Publikum herzustellen, indem er auf kollektive Appelle setzt. Er beginnt seine Sätze sehr oft mit einem "Wir", "Jeder von Ihnen", oder "Viele von uns".

sueddeutsche.de: Welches Bild wollen die Kandidaten von sich schaffen?

Klimke: Herr Köhler präsentiert sich stark als internationaler Staatsmann, als klarer Analytiker der Gegenwart. Der globale Rahmen ist der Ausgangspunkt der Rhetorik.

sueddeutsche.de: Und Gesine Schwan?

Klimke: Frau Schwan präsentiert sich als emphatische Europäerin, die die Sorgen und Nöte der Menschen zur Kenntnis nimmt. Sie fokussiert sich mehr auf die Zukunft. Ihre Themen sind die gerechte Gesellschaft, Chancengleichheit und Solidarität in Europa und Deutschland, die man wahren muss. Das soziale Europa ist ihr sehr wichtig. Also klassisch sozialdemokratische Themen.

sueddeutsche.de: Welcher Politiker ähnelt Köhler in seiner Rhetorik am meisten?

Klimke: Frank-Walter Steinmeier, gerade was die formalisierte Sprache und die Inszenierung von Kompetenz betrifft. Beide verwenden häufig Paar- und Drillingsformen. Beide verwenden gerne Doppelungen wie "Bildung und Wissenschaft" oder "Tatkraft und Redlichkeit" und beginnen ihre Sätze mit Formulierungen wie "Und ich bin sicher" oder "Und wir müssen".

sueddeutsche.de: Worauf führen Sie diese Ähnlichkeiten zurück?

sueddeutsche.de: Ich denke, das liegt an der repräsentativen Funktion, die sowohl Steinmeier als Außenminister als auch Köhler als Bundespräsident zu erfüllen haben. In den Rhetoriken geht es mehr um die Funktion der Person als um das Parteibuch. Auch die Rolle des Außenministers hat viele diplomatische und repräsentative Elemente.

sueddeutsche.de: Wie alle Spitzenpolitiker haben auch Schwan und Köhler Redenschreiber. Kann man Ihnen nicht den Vorwurf machen, dass Sie mit Ihren Analysen lediglich die Fähigkeit der Redenschreiber beurteilen und gar nicht die rhetorische Kompetenz der Kandidaten?

Klimke: Uns ist bewusst, dass unser Untersuchungsgegenstand ein fertiges Produkt ist, das durch mehrere Instanzen gelaufen ist. Deswegen analysieren wir auch Interviews und nicht nur Reden. Man kann auch sagen, dass sich Politiker sehr stark von ihren Redenschreibern beeinflussen und steuern lassen. Dennoch: Die letzte Entscheidung liegt immer beim Redner selbst. Er muss spontan auf bestimmte Entwicklungen reagieren. Letztlich sind Politiker selbst verantwortlich für ihre Rhetorik.

sueddeutsche.de: Dann sind Politiker auch verantwortlich für sprachliche Entgleisungen. Ist Sprache die unterschätzte Macht in der Politik?

Klimke: Das denke ich schon. Sprache ist das Medium, mit dem wir Wahlen gewinnen. Sprache ist wie eine Maske: Durch sie kreieren wir ein bestimmtes Bild der Realität, transportieren Subtilität. Welche Macht Sprache haben kann, kann man gut an rhetorischen Patzern beobachten, die schnell zu emotionalen politischen Debatten führen. Denken Sie nur an Hessen. Sprache ist ein Spiel mit dem Feuer.

sueddeutsche.de: Und wer beherrscht das Spiel mit dem Feuer besser?

Klimke: Da gibt es keinen eindeutigen Sieger. Beide sind rhetorisch schon sehr erfolgreich. Horst Köhler ist seiner Sprache stets treu geblieben. Und Gesine Schwan hat die richtige Strategie gewählt, indem sie sich inhaltlich abgegrenzt und versucht hat, das öffentliche Bild von sich zu korrigieren.

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