Kita:Nicht mal mehr Notgruppen

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Verdi-Chef Bsirske droht mit einer "massiven Eskalation" im Kita-Konflikt. Er bereitet sich auf die Fortsetzung des Streiks "ab Mitte Oktober" vor. Die Vereinbarungen über Notdienste sollen bundesweit gekündigt werden.

Von Detlef Esslinger, Leipzig

Die Eltern müssen sich auf neue Streiks in den Kitas einstellen - und die Erzieher darauf, dass ihre Gewerkschaften weniger für sie durchsetzen werden als erhofft. Beides geht aus Bemerkungen hervor, die Verdi-Chef Frank Bsirske am Montag beim Bundeskongress seiner Organisation in Leipzig machte.

In seinem Geschäftsbericht sagte Bsirske, er bereite sich auf die Fortsetzung des Streiks "ab Mitte Oktober" vor. "Das wird - machen wir uns nichts vor - eine massive Eskalation des Konflikts werden, mit hohen Belastungen für Eltern, Arbeitgeber und die Streikenden." Zur Eskalation gehört, dass es kaum noch Notgruppen in Kitas mehr geben wird. Nach Angaben aus Verdi-Kreisen sollen die Notdienstvereinbarungen mit den Kommunen bundesweit gekündigt werden - außer in jenen Orten, in denen die bestehende Notdienstvereinbarung eine Kündigung während eines laufenden Konflikts ausschließt. Bsirske sagte, die Eskalation könne nur vermieden werden, wenn es nächste Woche gelinge, sich mit den Kommunen auf Verbesserungen des Schlichterspruchs vom Juni zu vereinbaren. Die Gespräche sind für Montag und Dienstag in Hannover vorgesehen.

Verdi, die GEW sowie der Beamtenbund treffen dort auf die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Diese hatte bisher stets erklärt, zu weiteren Zugeständnissen nicht bereit zu sein. In der Schlichtung hatte sie sich mit den Gewerkschaften geeinigt, die Gehälter im Schnitt um 3,3 Prozent anzuheben - was die Mitglieder jedoch anschließend in einer schriftlichen Befragung ablehnten. Gefordert hatten die Gewerkschaften zehn Prozent. Ob die Kommunen bei ihrem Kurs bleiben werden, ist aber noch unklar. Zur Eröffnung des Kongresses sprach am Sonntagabend auch der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Er sagte einen Satz, den viele Delegierte freundlich beklatschten und als Indiz für Kompromissbereitschaft werteten. Er wünsche sich "von Herzen" ein Ergebnis am Verhandlungstisch, sagte Jung, "und ich will in meinen Gremien das Meine beitragen, dass das gelingt".

Verdi-Chef Bsirske steht bei dem Thema erheblich unter Druck. So gut wie nie kommt es vor, dass ein Gewerkschafter oder Arbeitgeber einen Schlichterspruch in den eigenen Reihen nicht durchsetzt. Mehrere Arbeitgeber warfen ihm deshalb öffentlich vor, viel zu hohe Erwartungen geweckt zu haben. In Kreisen der an den Verhandlungen beteiligten Gewerkschaften wird diese Kritik geteilt, aber nur verdeckt geäußert. Auf dem Kongress versuchte Bsirske nun, den 240 000 Beschäftigten vorsichtig klarzumachen, dass die zehn Prozent auch nicht annähernd zu erreichen sind. "Allen" sei klar, dass sich eine "jahrzehntelang gewachsene Lohndiskriminierung nicht im Handstreich" beseitigen lasse, sondern nur schrittweise. "Ohne einen Schritt aber ist dieser Tarifkonflikt nicht beizulegen", sagte Bsirske.

Verdi ist die Abkürzung für "Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft"; der Organisation geht es generell darum, dass Dienstleistungen für Menschen nicht länger schlechter bezahlt werden als Industriearbeit an Maschinen. Viele Vertreter von Kommunen empfinden dieses Ziel als bedrohlich - weil sie es in der Regel sind, die diese höheren Gehälter bezahlen müssten, ohne viel Einfluss auf die Einnahmen zu haben. Weitere Zugeständnisse für Erzieher lehnen sie auch deshalb ab, weil sie befürchten, dass Verdi anschließend ähnliche Forderungen für die nächsten Berufsgruppen stellen wird. Bsirske bestätigte das am Montag rhetorisch umständlich, aber deutlich. Er nannte die "Aufwertung der sozialen Berufe" ein Kernanliegen - "nicht nur in Beziehung auf den Sozial- und Erziehungsdienst, sondern genauso bezogen auf den Krankenhaus- und Altenpflegebereich und die personennahen Dienstleistungen insgesamt".

Sympathie dafür äußerte seine Gastrednerin am Sonntagabend, Bundeskanzlerin Angela Merkel - zumindest grundsätzliche Sympathie. "Wir werden in den nächsten Jahren über das Thema ,Arbeit mit Menschen' natürlich in vielfältiger Weise reden und dann auch handeln", sagte sie. Konkreter wurde Merkel jedoch nicht. Und "tunlichst" schon gar nichts wollte sie zum Kita-Streit sagen. "Das werden Sie verstehen."

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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