Kita:Ende der Illusionen

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Die Kommunen haben sich mit den 240000 Erziehern und Sozialarbeitern geeinigt - das ist gut so. Doch warum es jetzt eine Einigung gibt, wo es doch im Juni noch keine gab - mit dem neuen Verhandlungsergebnis ist das kaum zu erklären.

Von Detlef Esslinger

Man kann sich wundern über diese Einigung: Für die 240 000 Erzieher und Sozialarbeiter im Land haben die Gewerkschaften nun nicht viel mehr herausgefochten als im Juni, am Ende der Schlichtung. Im Wesentlichen wird die Summe, auf die sie sich damals mit den Kommunen geeinigt hatten, nun nur anders verteilt. Warum sie jetzt trotzdem zustimmen? Aus Einsicht und purer Erschöpfung. Verdi-Chef Frank Bsirske musste direkt vom siebentägigen Bundeskongress seiner Organisation an den Verhandlungstisch, die Gespräche zogen sich über zwei Tage. Die Verhandlungen begannen morgens um 7 Uhr, streckten sich hin bis 22 Uhr, es war eine "elende Rechnerei", wie Beobachter sagen. Und nachts brüteten dann noch Tarifexperten über den verschiedensten Modellen. Als das auch nicht reichte, wurden die Zimmerbuchungen im Hannoveraner Hotel um eine Nacht verlängert. Seinen Kampfnachweis hat Verdi-Chef Bsirske also erbracht. Und nun sollte eine weitere Eskalation, also der nächste Streik, vermieden werden, Bsirske selbst hat es so formuliert.

Was ist die Lehre aus dem monatelangen Nervenkrieg? Für den Verdi-Chef war die Situation zuletzt ja alles andere als kommod: Von seinen Mitgliedern durfte er sich angiften lassen, was für einem unzumutbaren Schlichterspruch er denn da im Juni zugestimmt habe. Arbeitgeber wiederum stellten die Frage, ob sie sich auf Übereinkünfte mit ihm noch verlassen können. Blöder ging es kaum.

Bsirske hat in diesem Jahr zwei große Konflikte geführt, neben dem im Sozial- und Erziehungsdienst auch den bei der Post. Das auf den ersten Blick Erstaunliche bei der Post war, dass seine Gewerkschaft das proklamierte Ziel - Billiggesellschaften im Konzern zu verhindern - absolut verfehlte, die Basis aber dem Ergebnis trotzdem zustimmte. Die Kompensationen, die Verdi im Gegenzug herausholte, genügten den Mitgliedern offenbar. Im Sozial- und Erziehungsdienst hingegen lehnte die Gewerkschaftsbasis ein Resultat ab, das das proklamierte Ziel - mehr Geld für Erzieher und Sozialarbeiter - zwar nur zu einem relativ geringen Teil erreichte; zehn Prozent waren verlangt, 3,3 Prozent wurden im Schnitt erzielt. Aber: immerhin das.

Für diese scheinbare Paradoxie dürfte es einen simplen Grund geben: Die Beschäftigten bei der Post sind in ihrer Mehrheit zugleich langjährige Gewerkschafter. Arbeitskämpfe sind ihnen aus eigenem Erleben vertraut. Sie wissen, dass man aus einer Tarifverhandlung immer anders herauskommt, als man hineingegangen ist. Kröten sind nun einmal dafür da, um geschluckt zu werden. Ganz anders sieht es bei den Erzieherinnen und Sozialarbeitern aus, bei den Menschen, die in der Behinderten- und in der Altenhilfe arbeiten: Bei ihnen haben Arbeitskämpfe keine Tradition, viele von ihnen sind noch nicht lange dabei in der Gewerkschaft. Sie haben Erfahrung mit Kindern, aber nicht mit Bsirske. Was ein Gewerkschaftsführer als Forderung verkündet, das nehmen sie wörtlich. In diesem Fall nach der Devise: 3,3 Prozent - wie bitte? Sprachen wir nicht von zehn? Wer da nicht enttäuscht ist, ist mindestens verblüfft. Die Aufgabe für Bsirske, den soeben in Leipzig wiedergewählten Chef der Dienstleistungsgewerkschaft, wird sein, künftig die Erwartungen seiner Klientel besser zu managen, Illusionen gar nicht erst entstehen zu lassen. Schon bald hat er Gelegenheit zu zeigen, dass er nicht denselben Fehler zweimal macht: In vier Monaten beginnt die Tarifrunde für die insgesamt 2,1 Millionen Beschäftigten der Kommunen und des Bundes. Auch für die Erzieher steht dann bereits die nächste Tariferhöhung an.

© SZ vom 01.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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