Katalonien:Schmach und Verfassungsbrüche

Katalonien: Barcelona, im Juli 1936: Demonstranten protestieren gegen die Angriffe des Rebellengenerals Francisco Franco auf die gerade erst errungene republikanische Ordnung.

Barcelona, im Juli 1936: Demonstranten protestieren gegen die Angriffe des Rebellengenerals Francisco Franco auf die gerade erst errungene republikanische Ordnung.

(Foto: STF/AFP)

Im Konflikt zwischen Madrid und Barcelona reißen alte Wunden neu auf: Spanien hat seine vier Jahrzehnte währende Militärdiktatur nur mangelhaft aufgearbeitet.

Von Thomas Urban, Barcelona

Verfassungsbruch! Verfassungsbrecher! Mit solchen Beschimpfungen überzieht die spanische Regierung im Gleichklang mit der Hauptstadtpresse derzeit immer wieder die katalanische Führung. Und aus der Region schallt der Gegenvorwurf zurück: Söhne und Enkel von Verfassungsbrechern!

In diesen wechselseitigen Invektiven fokussiert sich der Grundkonflikt zwischen Madrid und Barcelona über die Zukunft der wirtschaftsstarken Region am Mittelmeer. In der Tat haben Regionalparlament und -regierung die spanische Verfassung ignoriert, als sie das umstrittene Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober durchführen ließen.

Doch dass die Zentralregierung unter Mariano Rajoy jeden Dialog mit Barcelona verweigert, stattdessen die nationale Polizei gegen friedliche Demonstranten vor den Wahllokalen zuschlagen lässt und dies mit der "Verteidigung der Verfassung" begründet, empört viele Katalanen. Dass obendrein König Felipe VI. die Worte Rajoys in derselben unversöhnlichen Tonlage wiederholt, macht die Sache nicht besser. Denn beide sind in Folge historischer Verfassungsbrüche, die großen Einfluss auf das Los der Katalanen hatten, in ihre Ämter gekommen.

Es handelt sich um die Verfassung von 1931, die erste demokratisch legitimierte in der Geschichte Spaniens. Sie legte die Republik als Staatsform fest und gestand den Katalanen weitgehende Autonomierechte zu. Doch fünf Jahre später rebellierte der nationalkatholische General Francisco Franco gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Mit massiver militärischer Unterstützung Hitlers und Mussolinis rangen seine Truppen die Verbände der rechtmäßigen Regierung nieder.

Nach seinem Sieg 1939 herrschte Franco gemäß dem Motto: Wehe den Besiegten!

Nach dem Sieg im Bürgerkrieg 1939 herrschte er nach dem Motto: Wehe den Besiegten! Zu letzteren gehörten die Katalanen, denn sie hatten auf der Seite der Republik gestanden. Ihre Führer wurden exekutiert, sofern sie nicht rechtzeitig ins Ausland geflohen waren, der Gebrauch der katalanischen Sprache im öffentlichen Leben wurde verboten. Zu den bekanntesten Opfern des Rebellengenerals Franco gehörte der Rechtsanwalt Josep Sunyol; er war einer der führenden Köpfe der republikanischen Linken und Präsident des FC Barcelona. Dessen Stadion, das Camp Nou, ist heute Hochburg der Verfechter der Abspaltung Kataloniens vom Königreich Spanien: Bei jedem Heimspiel gedenken die Fans des Schicksals Sunyols.

In Barcelona wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die in Madrid regierende konservative Volkspartei (PP) aus einer franquistischen Gruppierung hervorgegangen ist. In Karikaturen der katalanischen Presse wird Premierminister Mariano Rajoy gern mit Dreispitz gezeichnet, der traditionellen Kopfbedeckung der Guardia Civil: der nationalen Polizeitruppe, die eine tragende Rolle im Repressionsapparat Francos spielte.

Franco setzte auch die Restaurierung der Monarchie durch; unmittelbar nach seinem Tod 1975 wurde der von ihm persönlich ausgesuchte Thronprätendent Juan Carlos zum König ausgerufen. Somit sieht man in Katalonien auch die Inthronisierung von dessen Sohn Felipe VI. als Spätfolge der Verfassungsbrüche Francos.

Mit dem Namen Felipe ist in den Augen vieler Katalanen ein weiterer schwerer Rechtsbruch verbunden, der noch weiter in der Geschichte zurückliegt, nämlich 303 Jahre. 1714 endete der Spanische Erbfolgekrieg mit der Eroberung Barcelonas durch die Truppen des Königs Felipe V., eines Enkels des Sonnenkönigs Ludwig XIV. aus dem Hause Bourbon. Die Katalanen hatten in dem Krieg auf Seiten der Habsburger gestanden, die schließlich den Kampf aufgaben, als ihnen Felipe die italienischen Besitzungen des Königreichs Spanien anbot.

Bis heute kennt jedes Kind in Barcelona den General im Käfig von 1714

Die nun von den Verbündeten im Stich gelassenen Katalanen konnten dem Heer des Bourbonen nicht standhalten. Auch dieser kannte keine Gnade mit dem Besiegten: Er ließ ein paar Vertreter der städtischen Elite köpfen, der katalanische General Josep Moragues, der die Verteidigung Barcelonas geleitet hatte, wurde von einem Pferd zu Tode geschleift, sein Kopf zur Warnung für seine Landsleute für zwölf Jahre in einem Käfig aufgehängt. Jedes Kind in Barcelona weiß aus den Schulbüchern von dieser Schmach.

Bis heute wirkt sich die Strafe aus, die Felipe über die gesamte Region verhängte: Er hob ihre historischen Selbstverwaltungs- und Steuerrechte auf. Bis heute hängt die Zuteilung eines Großteils der Haushaltsmittel vom Gutdünken des Finanzministers in Madrid ab. Die Minister der Regionalregierung müssen dort immer wieder antichambrieren - was in Barcelona als Demütigung empfunden wird.

In Madrid aber wird gegen all diese Proteste und Klagen eingewandt, dass die Bevölkerung Kataloniens ja mit großer Mehrheit der bis heute gültigen Verfassung von 1978 zugestimmt hat. Doch dort entgegnet man, dass eine Reform dieses Gesetzeswerks längst überfällig sei. Denn bei seiner Ausarbeitung hätten hohe Funktionsträger des Franco-Regimes dominiert, auch hätten die damals verabschiedeten Gesetze der Übergangszeit (Transición) vor allem die alten Eliten geschützt, auch vor Strafverfolgung.

So ist der heutige Konflikt zwischen Madrid und Barcelona nur vor dem Hintergrund der mangelnden Aufarbeitung der Franco-Diktatur zu verstehen, angereichert durch Legenden und Mythen um das katalanische Schicksalsjahr 1714. Rajoy und auch Felipe VI. ist offenbar nie die Möglichkeit in den Sinn gekommen, mit geschichtspolitischen Gesten und in Ansprachen Verständnis für den anderen Blick der Katalanen in die gemeinsame tragische Vergangenheit zu bekunden. Sie hätten dem Konflikt sehr viel von seiner Schärfe nehmen können.

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