Katalonien:Mann ohne Spielraum

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Regierungschef Puigdemont gerät von allen Seiten unter Druck: Während sein kleinster Koalitionspartner die Abspaltung von Spanien erzwingen will, warnt EU-Kommissionschef Juncker die abtrünnige Region vor diesem Schritt.

Von Thomas Urban, Barcelona

Der katalanischen Regionalregierung unter Carles Puigdemont droht der Sturz durch die kleine Parlamentsfraktion der neomarxistischen Gruppierung CUP, die ihn bislang gestützt hat. Die Abgeordneten des Parteienbündnisses mit dem Namen "Kandidatur der Volkseinheit" forderten Puigdemont schriftlich auf, sofort die Unabhängigkeit Kataloniens auszurufen. Sonst werde man aus dem gemeinsamen Bündnis ausscheren, Puigdemont würde die Mehrheit im Parlament verlieren.

Dagegen wiederholte der Vorsitzende der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, seine Warnungen. "Wenn wir es zulassen (...), dass Katalonien sich abspaltet, werden andere dies auch tun", sagte Juncker am Freitag bei einer Veranstaltung in Luxemburg. "Ich hätte nicht gerne eine Europäische Union, die in 15 Jahren aus 98 Staaten bestehen wird." So könne die EU nicht mehr funktionieren. Auch die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, forderte die Führung in Barcelona auf, von ihrem Kurs Abstand zu nehmen, der die Stabilität nicht nur Kataloniens, sondern ganz Spaniens bedrohe.

Die spanische Regierung unter Mariano Rajoy hatte Puigdemont ein Ultimatum gestellt: Bis Montagmorgen soll er erklären, ob er in seiner verklausulierten Rede vom vergangenen Dienstag die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen oder deren Ausrufung nur angekündigt habe. Diese Forderung Rajoys wurde durch ein zweites Ultimatum ergänzt: Bis Donnerstag sollen sich Puigdemont und sein Kabinett von dem Kurs, der auf eine Abspaltung Kataloniens vom Königreich Spanien abzielt, abwenden. Andernfalls drohen die Absetzung der katalanischen Regierung und die Auflösung des Regionalparlaments in Barcelona gemäß Artikel 155 der spanischen Verfassung.

Im Zentrum Barcelonas verbrennen Nationalisten katalanische Fahnen

Die Forderung der CUP nimmt Puigdemont jeglichen Spielraum, sein Minderheitskabinett ist von den CUP-Stimmen abhängig. Die Forderung der Neomarxisten unterstützte die Katalanische Nationalversammlung (ANC), der Dachverband der für die Unabhängigkeit eintretenden Initiativen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen führende Mitglieder des ANC wegen Unterstützung verfassungswidrigen Handelns. Auch gegen die Mitglieder des Kabinetts sind Verfahren wegen Ungehorsam, Veruntreuung öffentlicher Mittel und "Vorbereitung zur Rebellion" eingeleitet. Puigdemont hatte am Dienstag gesagt, die Katalanen hätten sich einen unabhängigen Staat "verdient", doch wolle er mit Madrid über eine ordnungsgemäße Sezession verhandeln. Rajoy lehnt unter Verweis auf die Verfassung solche Verhandlungen strikt ab.

Die kompromisslosen Verfechter der Unabhängigkeit hatten bei den letzten Regionalwahlen lediglich 48 Prozent der Stimmen bekommen. Das reichte allerdings für die Mehrheit der Sitze im Regionalparlament. Bei dem vom Verfassungsgericht in Madrid verbotenen Referendum am 1. Oktober hatten 90 Prozent der Wähler für die Unabhängigkeit votiert, doch lag die Beteiligung lediglich bei 43 Prozent. Im Zentrum von Barcelona verbrannte eine kleine Gruppe spanischer Nationalisten am Donnerstagabend katalanische Fahnen.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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