Japan:Premier im Tiefflug

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Japans Premier Shinzo Abe kommt inzwischen nur noch auf Zustimmungswerte von knappen 30 Prozent. (Foto: Toru Hanai/Reuters)

Stagnierende Löhne und Skandale: Shinzo Abe stürzt in der Wählergunst ab. Für einen Machtwechsel aber reicht es nicht.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Mit seinen Konjunkturprogrammen ("Abenomics") und großem Selbstvertrauen beherrscht Shinzo Abe Japans Politik wie wenige Premiers der Nachkriegszeit vor ihm. Doch plötzlich wankt der scheinbar Unbesiegbare, der sich kürzlich die parteiinterne Beschränkung der Amtszeit von sechs auf neun Jahre verlängern ließ. Im April erfreute er sich noch einer Zustimmungsrate von 60 Prozent, in der jüngsten Umfrage stürzte er auf knapp 30 Prozent ab - Tendenz fallend. Bei der Kommunalwahl in Tokio Anfang Juli, die auch ein Referendum über Abe war, erlitten seine Liberaldemokraten (LDP) ihre bisher schwerste Niederlage. Das gilt als schlechtes Omen. 2007, als Abe erstmals Premier war, verlor die LDP im Juli die Oberhauswahl, in der Folge trat der Spross einer Politikerdynastie entnervt ab.

Abe gibt der Wirtschaft Priorität, aber in vier Regierungsjahren hat sich das Leben vieler Japaner nicht wirklich verbessert. Es herrscht Vollbeschäftigung, aber die Löhne stagnieren. Derweil investiert Abe sein politisches Kapital in die Revision der Verfassung. Im Mai überrumpelte er mit der Ankündigung, zu den Olympischen Spielen 2020 sollte Nippon ein neues Grundgesetz haben. Insbesondere will er den Friedensparagrafen, der Japan so genannte Selbstverteidigungskräfte erlaubt, um einen dritten Abschnitt erweitern, der Streitkräfte in der Verfassung verankert. Sein parteiinterner Rivale Shigeru Ishiba hält das für "widersprüchlich, unverständlich und unausgegoren". Und fragt, was die Verfassung mit Olympia zu tun habe. Im Parlament wies Abe eine ähnliche Frage zurück, die Abgeordneten sollten die Tageszeitung Yomiuri lesen, sein Hausblatt, dort habe er sie in einem Interview bereits beantwortet.

Auch Abes Minister ecken an. Die Tageszeitung Asahi warf der Regierung vor, sie behandle die Wähler herablassend. Tomomi Inada, die nationalistische Verteidigungsministerin, die Abe als mögliche Nachfolgerin aufbauen wollte, gilt als überfordert. Selbst Yomiuri wirft Abe inzwischen Arroganz der Macht vor.

Überdies wird der Premier der Günstlingswirtschaft bezichtigt, was er jedoch von sich weist. An diesem Montag will er sich erneut vor einer Parlamentskommission gegen den Vorwurf wehren, er habe seinem Freund Kotaro Kake, der eine private Hochschule betreibt, die Lizenz für eine veterinärmedizinische Fakultät zugeschanzt. Das Grundstück für den Bau erhielt Kake kostenlos. Abe bestreitet, sich eingemischt zu haben, das Erziehungsministerium fand jedoch belastende Dokumente. Und die Tierärztegesellschaft sagt, sie sei schon Monate vor der Entscheidung informiert worden, dass Kake den Zuschlag erhalte.

In der Partei des Regierungschefs bringen sich bereits mögliche Nachfolger in Stellung

Auch im Skandal um einen massiv verbilligten Landverkauf an den Schulbetreiber Yasunori Kagoike hat Abe die Japaner nicht davon überzeugen können, dass er damit nichts zu tun habe. Der Rechtsnationalist Kagoike wollte seine neue Grundschule in Osaka "Shinzo-Abe-Schule" nennen, Abes Frau hatte er bereits zur Ehrenrektorin ernannt. Inzwischen erklärt er Abes Rolle im Landverkauf mit "Sontaku", vorauseilendem Gehorsam. Das Finanzministerium habe wohl ohne explizite Order in Abes Sinn gehandelt. Die Unterlagen sind verschwunden, der Beamte des Finanzministeriums, der sich im Parlament vor Abe stellte, wurde befördert. Kagoike wird wegen Finanzdelikten strafverfolgt.

In einer dritten Affäre geht es um einen Fernsehjournalisten, der mit Abe befreundet sein will. Die Polizei wollte ihn wegen einer Vergewaltigung verhaften, doch der Haftbefehl wurde im letzten Moment annulliert: "Von ganz oben", wie es hieß. Diesen ungewöhnlichen Vorgang erklärt das Wochenblatt Shukan Shincho mit einem guten Draht zwischen dem Polizeichef und Abes Kabinett.

Abes Position war nie so stark, wie sie zu sein schien. Die LDP gewann bei ihrem Sieg 2012 zwei Millionen Stimmen weniger als bei ihrer historischen Schlappe drei Jahre zuvor. Und 2014, als Abe seine Macht konsolidierte, bekam sie noch mal 180 000 Stimmen weniger. Abe profitiert bis heute vor allem von der Schwäche der Opposition. Der Politologe Steven Reed von der Chuo-Universität meint, viele Japaner ließen die LDP fallen, sobald sich eine glaubwürdige Alternative biete. Auch in der LDP ist Abe nicht unumstritten. Konkurrent Ishiba bringt sich in Position, ebenso wie Außenminister Fumio Kishida. Derweil kündigte Abe eine Kabinettsumbildung für August an.

© SZ vom 24.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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