Japan:Müder Kaiser

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Zu früh für ein Abschiedswinken: der japanische Kaiser Akihito und seine Frau Michiko vor wenigen Tagen in Kanagawa. Die Regierung will erst Ende des Jahres die gesetzliche Grundlage für einen Rücktritt schaffen. (Foto: Kazuhiro Nogi/AFP)

Rücktritte sind bei Japans Monarchen ausgeschlossen. Akihito mag trotzdem nicht mehr. Der Regierung ist das gar nicht recht.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Es war ein Schock für die japanische Regierung, von der sie sich nur langsam erholte. Nun gab sie bekannt: Kaiser Akihito "will nicht unbedingt zurücktreten". Zuvor hatten Medien unter Berufung auf offizielle Kreise berichtet, der 82 Jahre alte Monarch erwäge schon seit Längerem, in den nächsten Jahren abzudanken. Er wolle sich zur Ruhe setzen und den Thron seinem ältesten Sohn, Kronprinz Naruhito, überlassen. Das politische Japan möchte aber nicht, dass der 82-Jährige abtritt, weil dies eine ganze Reihe verdrängter Fragen aufwerfen würde. Oder, wie man in Tokio auch hört, weil sein Rücktritt zeigen würde, dass sich die Zeiten wandeln.

Eigentlich darf Akihito derzeit gar nicht zurücktreten, es gibt dafür keine gesetzliche Grundlage. Die Regierung von Premier Shinzo Abe will eine schaffen, allerdings erst Ende des Jahres. Als sie im Juni über Akihitos Rücktrittsabsichten informiert wurde, nominierte der Premier dafür eine geheime Arbeitsgruppe. In Kraft treten würde das Gesetz allerdings erst nächsten Sommer, so lange muss der Tenno ausharren. Akihito hatte seinen Wunsch abzutreten schon im Mai mit Kaiserin Michiko und den zwei Söhnen besprochen. Das Hofamt schlug vor, er solle diesen Wunsch im Dezember anlässlich der Pressekonferenz zu seinem Geburtstag öffentlich machen. Wie die Nachricht aus dem sonst so verschwiegenen Hofamt an die Presse gelangte, weiß man nicht. Vielleicht war dem Kaiser die Frist zu lang.

Nach der Verfassung von 1946 ist der Kaiser das "Symbol der Einheit Japans". Er beruft den Premier, ernennt Minister, verkündet Gesetze, empfängt Staatsgäste und Botschafter, verleiht Orden und Preise und nimmt an Wohltätigkeitsveranstaltungen teil. Alle diese Aufgaben sind zeremoniell, er ist kein Staatsoberhaupt.

Akihito hat diese Pflichten sogar noch erweitert. Er wolle ein Kaiser sein, "der für die Menschen arbeitet", sagte er einmal. Nach Katastrophen besucht er die heimgesuchten Regionen, spricht den Opfern Mut zu. Auf Auslandsreisen hat er deutlicher als jede japanische Regierung Reue für Kriegsgräuel bekundet.

Doch die täglichen Verpflichtungen werden dem körperlich fragilen Tenno zu viel. Das Hofamt hat seinen Terminkalender deshalb reduziert und ihm angeboten, die Belastung weiter zu verringern. Einige Aufgaben übertrug es auf den Kronprinzen. Aber der Tenno will das eigentlich nicht, so die japanische Presse. Er wolle "sein Bestes tun und seine Pflichten erfüllen, solange er kann".

Ein möglicher Rücktritt des Kaisers ist in Japan politisch so heikel, dass weder Abe noch sein Sprecher, Kabinettssekretär Yoshide Suga, sich dazu äußern. Die Regierung habe den Hof auch nicht kontaktiert, nachdem sein Rücktrittswunsch an die Öffentlichkeit gelangt war, so Suga.

Jetzt diskutiert Japan formale Fragen: Welche Institution könnte einen kaiserlichen Rücktritt überhaupt annehmen? Wann darf ein Kaiser zurücktreten? Wie groß ist das Risiko, dass er dazu gezwungen wurde? "Wir müssen die Bedeutung des Kaiserhauses von Grund auf neu überdenken", sagte Yoshiharu Asano, ein Experte der Daito-Bunka-Universität, der Tageszeitung Yomiuri. Und wie regelt man die Erbfolge, falls ein Kaiser zurücktreten sollte, der beispielsweise einen Sohn und einen jüngeren Bruder hat?

Offiziell gilt Akihito als der 125. Tenno einer einzigen Dynastie

Abes Regierung befürchtet nach Ansicht von Beobachtern, ein Rücktritt Akihitos könnte politisch gedeutet werden. Der Tenno hat sich nie zur Politik Abes geäußert, das darf er nicht. Aber er hat Mitgefühl für Kernkraftwerk-Gegner gezeigt, außerdem verriet sein Gesicht Missvergnügen, als Abe einmal enthusiastisch in "Banzai"-Rufe - "zehntausend Jahre" - für ihn einstimmte. Im Zweiten Weltkrieg war das ein Schlachtruf der kaiserlichen Armee.

Offiziell gilt Akihito als der 125. Tenno einer einzigen Dynastie, viele Historiker bezweifeln allerdings, dass die Erbfolge wirklich nie unterbrochen wurde. Bis 1912 hatten die Kaiser Konkubinen, einige hatten sogar zwei Kaiserinnen. An männlichem Nachwuchs mangelte es nicht. Derzeit jedoch könnten schon einzelne Rücktritte die Erblinie abreißen lassen. Japan hatte in seiner Geschichte zwar acht Kaiserinnen, aber keine vererbte den Thron an ihren Sohn.

General Douglas MacArthur, der Oberbefehlshaber der US-Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg, schaffte den japanischen Adel mit der Verfassung von 1946 ab, auch die Nebenlinien der Kaiserfamilie endeten damit. Das Kaiserhaus hat deshalb nur noch 20 Mitglieder, von ihnen sind nur drei mögliche Thronfolger: Kronprinz Naruhito, sein Bruder Akishino und dessen zehnjähriger Sohn Hisahito. Weil lange weder Naruhito noch Akishino Söhne hatten, bereitete der damalige Premier Junichiro Koizumi vor etwa zwölf Jahren ein Gesetz vor, das weibliche Thronfolger zuließ. Mit Hisahitos Geburt wurde es wieder fallen gelassen.

Am Kaiserhaus zeigt sich, wie sehr Nippon in der Zeit stecken geblieben ist. Sein Fortbestehen hatte MacArthur gegen den Widerstand auch der japanischen Linken durchgesetzt, dessen Zukunft aber mit der Beschränkung auf die Kernfamilie gefährdet. Nun will Japan eine Wirtschafts- und politische Regionalmacht sein, eine moderne Gesellschaft dazu, jedoch klammert sich das Land zugleich an Traditionen und Strukturen, die in der Reduktion, in der sie derzeit geführt werden, kaum überlebensfähig sind.

Vielen jungen Japanern ist das Kaiserhaus egal. Von Älteren hört man oft, Akihito habe sie mit seiner Menschlichkeit, Bescheidenheit und seiner Bereitschaft, mit der Zeit zu gehen, für sich eingenommen. Vor drei Jahren erklärte der Monarch, die Kaiserin und er wollten nach ihrem Tod eingeäschert werden wie normale Japaner. Schon damit brach er mit einer 350-jährigen Tradition.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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