Japan:Angriff der "Babymach-Maschinen"

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Yuriko Koike, die Bürgermeisterin Tokios, hält in Japans Politik die Frauenrechte hoch - und gelegentlich auch die olympische Fahne. (Foto: Cameron Spencer/Getty)

Frauen hatten es in Japans Politik bisher schwer. Doch jetzt regiert eine Frau die Hauptstadt Tokio - und eine andere vielleicht bald das ganze Land.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Yuriko Koike, die neue Bürgermeisterin von Tokio, verschwendet keine Zeit. Kaum im Amt, hat sie massive Reformen der Stadtverwaltung angeordnet. Sie will die Kandidatur und die Vorbereitung für die Olympischen Spiele 2020 auf Verschwendung und Korruption durchleuchten. Und hat den Umzug von Tsukiji, dem populären und weltweit größten Fischmarkt, vorerst gestoppt, denn die bisher als Argument angeführten Umweltüberprüfungen seien noch nicht abgeschlossen. Die 63-Jährige nimmt keine Rücksicht auf die Männerseilschaften in der Verwaltung. Sie war gegen den Willen ihrer eigenen Partei, der Liberaldemokraten (LDP) von Premier Shinzo Abe, angetreten. Jetzt sei sie nur den Wählern Rechenschaft schuldig, sagt Koike.

Doch nicht nur im Rathaus von Japans Hauptstadt könnte bald eine Frau regieren: Nächste Woche wählen die Demokraten, einen neuen Präsidenten, die größte Oppositionsparteides Landes. Der Gewinner dieser Parteiwahl würde Premierminister, wenn die Demokraten die nächste Parlamentswahl gewinnen - oder eben Premierministerin. Favoritin ist die Oberhausabgeordnete Renho, eine begnadete Rednerin mit kurzem Haar, die jede müde Wahlveranstaltung belebt. Eigentlich heißt die 48-jährige Juristin, die als Fotomodell und später als Journalistin arbeitete, Renho Murata - aber sie benützt in der Politik stets nur ihren Vornamen.

Premier Abe fördert Frauen nur, um Arbeitskräfte zu mobilisieren. Gleichstellung ist eher unwichtig

Renho will Japans Politik grundlegend verändern: Abe habe drei Jahre lang demonstriert, dass "Abenomics", wie die Wirtschaftspolitik des Premiers genannt wird, nicht funktioniere. "Wir müssen die beschränkten Ressourcen anders einsetzen", meint sie. Für die Menschen, anstatt für Beton und die Exportindustrie. Es könne nicht sein, dass im reichen Japan jedes sechste Kind in Armut aufwachse. "Und in Familien mit nur einem Elternteil jedes zweite", entrüstet sich die Mutter von 18-jährigen Zwillingen. Als Ministerin strich sie vor einigen Jahren gegen den Willen der in Japan allmächtigen Bürokratie die Budgets für prestigeträchtige Großprojekte zusammen.

Premier Shinzo Abe redet gerne davon, dass er Frauen fördern wolle, "Womenomics" nennt er das. Es geht ihm jedoch nicht um Gleichstellung, er will angesichts der schrumpfenden Bevölkerung Arbeitskräfte mobilisieren. Renho, die oft gewerkschaftlich argumentiert, ist für den konservativen Abe und seine Rechtspartei ein rotes Tuch. Und die Nationalisten lehnen sie ab, weil ihr Vater aus Taiwan stammte.

Wenn Frauen in Parlamenten Forderungen stellten, wurden sie von Männercliquen verspottet

Koike dagegen ist nicht nur LDP-Mitglied. Wie Abe und die Hälfte seiner Minister gehört sie bisher auch Nippon Kaigi an, einer obskuren, mächtigen nationalistischen Lobby-Organisation, die explizit gegen Gleichberechtigung eintritt. Vor Abes Zeit hat Koike sich außerdem drei Jahre lang als Umweltministerin bewährt. In dieser Funktion pilgerte sie regelmäßig zum Yasukuni-Schrein, mit dem Japan seiner Gefallenen, aber auch Kriegsverbrecher gedenkt, damit erfüllte sie eine Anforderungen, die Abe an Minister stellt. Dennoch hat er sie seit seiner Rückkehr an die Macht 2012 stets geschnitten, genau wie Seiko Noda, die zweite starke LDP-Frau. Stattdessen nominierte Abe Ja-sagende Quotenfrauen für sein Kabinett, wie die völlig überforderte Midori Matsushima, die grade mal 47 Tage Justizministerin blieb, oder Verteidigungsministerin Tomomi Inada, die auftritt wie ein junges Mädchen und über ihre modischen Brillen referiert.

Wie schwer es Politikerinnen in Japan haben, besonders solche mit abweichender Meinung, demonstrierten die Abgeordneten des Tokioter Stadtparlaments vor zwei Jahren. Sie verhöhnten ihre Kollegin Ayaka Shiomaru, die sich in einer Budgetdebatte für Krippenplätze und eine bessere gynäkologische Versorgung einsetzte. "Sie soll erst mal heiraten", rief einer, "und Kinder bekommen", ein anderer. Der Saal grölte, die junge Frau brach in Tränen aus. 60 Prozent von Japans Politikerinnen sagen, sie hätten schon Ähnliches erlebt. Als Abe 2007 das erste Mal Premier war, bezeichnete sein Gesundheitsminister die Frauen als "Babymach-Maschinen". Koikes Vorgänger im Bürgermeisteramt meinte, Frauen seien für die Politik ungeeignet, weil sie während der Menstruation nicht vernünftig denken.

Eine Parlamentskommission bereitet derzeit ein Gesetz vor, das die Parteien zwingen soll, für Wahlen "die gleiche Zahl Männer wie Frauen" zu nominieren. So stand es im Entwurf. Bei den letzten Wahlen waren weniger als 25 Prozent der Kandidaten Frauen. Der LDP ging die Formulierung jedoch zu weit: "So gleich wie möglich" sollte die Zahl ihrer Meinung nach sein, verlangte sie. Wenn mit Koike und Renho Frauen in der japanischen Politik auf dem Vormarsch sind, dann nicht Dank Abes "Womenomics." Sondern eher gegen den Widerstand des Premiers und seiner Freunde - die hatten sogar einen Mann als Killerkandidat gegen das eigene Parteimitglied Koike ins Rennen geschickt.

© SZ vom 09.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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