Jacques Chirac vs. Nicolas Sarkozy:Bissige Memoiren

In Frankreich ist es Tradition, dass Altpräsidenten ihre Nachfolger ärgern. Von Jacques Chirac hätte man das jedoch nicht gedacht, zieht er doch in seinen Memoiren gegen einen zu Felde, den er einst groß gemacht hat: Nicolas Sarkozy.

Stefan Ulrich

Das Werk ist noch nicht in den Buchhandlungen und wird doch schon nach den gewissen Stellen durchsucht. Gemeint sind keine frivolen Szenen. Vielmehr geht es um politisch heikle Passagen. Um eine Abrechnung zwischen Vorgänger und Nachfolger. Zwischen Ziehvater und Sohn. So schreibt der Alte über den Jungen, dieser sei "nervös, ungestüm, von überschäumendem Ehrgeiz und frei von jeden Zweifeln, insbesondere von Selbstzweifeln". Zudem habe der Junge ganze Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgebracht und Spannungen im Volk verschärft.

Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy

Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy - einst gute Parteifreunde.

(Foto: AP)

Solche Stellen finden sich etliche. Sie werden den 600 Seiten starken Memoirenband "Le temps présidentiel" (etwa: "Die Präsidentschaftsjahre"), der in den kommenden Tagen in Frankreich erscheint, zum Bestseller machen. Schließlich firmiert als Autor Ex-Präsident Jacques Chirac; und der Gescholtene ist niemand anderes als Staatschef Nicolas Sarkozy.

Die beiden Konservativen sind eigentlich Parteifreunde. Sarkozy wurde unter der Obhut Chiracs groß. Chirac, der von 1995 bis 2007 im Élysée-Palast herrschte, machte das Nachwuchstalent zum Innen- und dann zum Superminister für Wirtschaft und Finanzen. Schließlich unterstützte er ihn im Präsidentschaftswahlkampf 2007.

Umso mehr schmerzt das Regierungslager, dass Chirac jetzt, knapp ein Jahr vor der nächsten Wahl, gegen Sarkozy anschreibt. Und damit nicht genug. Er rühmt auch noch einen Politiker als "Staatsmann", der 2012 Hauptgegner Sarkozys werden könnte: den Sozialisten François Hollande.

Nun ist es Tradition in Frankreich, dass Altpräsidenten ihre Nachfolger ärgern. Gerade Chirac aber tat sich bislang durch Schweigen hervor. Der heute 76 Jahre alte Gaullist kümmerte sich um seine gemeinnützige Stiftung und stellte sich würdig den Mühen des Alterns. Viele Franzosen lieben ihn als einen leutseligen Landesvater, der die Menschen nicht nur als Wähler mag.

In seinen Erinnerungen, die zwei Zeitschriften bereits in Auszügen veröffentlichen, kommt der Ex-Präsident nun aus der Deckung. Er rechtfertigt seine Regierungsjahre, die reformpolitisch eher matt waren. Er berichtet über seine Leidenschaft, die Außenpolitik. So erzählt er, wie er US-Präsident George W. Bush massiv vor dem Irakkrieg warnte. Bush soll nur ironisch gelächelt haben.

Vor allem aber interessiert die Leser, was Chirac zu seinem Nachfolger zu sagen hat. Der Memoirenschreiber erklärt, warum er Sarkozy nie zum Premier bestimmte. Gewiss, der junge Mann sei voller Energie und Begabung gewesen. Auch habe sich Sarkozy selbst für dermaßen geeignet gehalten, dass er bereits an einer Kabinettsliste arbeitete. Doch sei er nicht vertrauenswürdig gewesen. Es habe "zu viele Schattenzonen und Missverständnisse zwischen Nicolas Sarkozy und mir gegeben", schreibt Chirac.

Der Ziehvater wirft dem Sohn vor, allzu schamlos nach seinem Thron gedrängt zu haben. Doch es sind nicht nur persönliche Animositäten, die die beiden trennen. Chirac betont: "Wir sind uns in den wesentlichen Fragen uneins." Sarkozy habe nicht dieselbe Vision. "Er ist Transatlantiker, und ich bin es nicht. Er ist auf wirtschaftlichem Gebiet viel liberaler als ich. . . . Das konnte nicht funktionieren."

Nun muss sich Chirac fragen lassen, warum er Sarkozy so lange gefördert hat. Der Journalist Hervé Gattegno vom Magazin Le Point meint, der Alt-Präsident sei "ein Doktor Frankenstein, der seine eigene Kreatur kritisiert".

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