Israel sagt Neuwahlen ab:Wie Netanjahu seine Kritiker mundtot macht

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Was für ein Coup, welch eine Chuzpe: Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu verkündet seinem verblüfften Volk, dass er die Kadima-Partei in seine Koalition einspannen wolle. Die angekündigten Neuwahlen sagt er ab. Empört zeigte sich allein die Opposition - oder besser gesagt das, was noch von ihr übrig ist.

Peter Münch, Tel Aviv

Zur Mittagsstunde ist von der Führung nichts zu sehen. Für zwölf Uhr hatte Israels neues Regierungsduo zur Pressekonferenz geladen, doch hinter den Rednerpults sind nur die Kabelleger und Strippenzieher am Werk. Ein wenig Unruhe macht sich breit, und natürlich steht auch gleich die Frage im Raum, ob die nächtlichen Nachrichten von der Absage der Neuwahl und der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit nicht doch nur ein böser Witz gewesen sind.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gelang ein Husarenstreich. (Foto: dpa)

Doch als Benjamin "Bibi" Netanjahu und Schaul Mofas mit einiger Verspätung in den Saal stürmen, da kann es keinen Zweifel mehr daran geben, dass in Israel überfallartig eine neue Zeit ausgerufen worden ist. Zwei Männer präsentieren sich da in blauen Anzügen, weißen Hemden und blauen Krawatten, die von nun an offenbar im Partnerlook das Land regieren wollen - in schweren Zeiten, wie sie unisono betonen.

Was für ein Coup, welch eine Chuzpe: Am Montagmittag noch hatte Netanjahu sein Kabinett auf eine vorgezogene Neuwahl am 4. September eingeschworen. Die politische Klasse stürzte sich sogleich beherzt in die Debatten, was dies nun für einen möglichen Militärschlag gegen Iran oder für die Lösung des inneren Reformstaus bedeuten könnte. Am Abend kamen in der Knesset eilig die Abgeordneten zusammen, um das notwendige Gesetz zur Parlamentsauflösung schon einmal in der ersten Lesung mit 109 von 120 Stimmen zu verabschieden. Doch da saß der Regierungschef in seiner Jerusalemer Residenz bereits heimlich mit dem Oppositionsführer beisammen.

Vor einigen Tagen schon sollen die Kontakte geknüpft worden sein, öffentlich beschimpften sich die beiden da noch rollenkonform. Nun vereinbarten Netanjahu und Mofas im Rekordtempo auf drei Seiten und in insgesamt 13 Absätzen in trauter Allmacht den Beitritt der Kadima-Partei zur bestehenden Koalition sowie das Programm einer Regierung, die künftig im Parlament fast über eine Vier-Fünftel-Mehrheit verfügen wird. So viel Macht kann man tatsächlich in einer Demokratie mit Neuwahlen nicht gewinnen.

Überrascht, ja überrumpelt worden ist von dieser Geheimaktion das ganze Land einschließlich der Abgeordneten und der Medien. Die Parlamentarier von Likud und Kadima wurden noch in der Nacht zusammengerufen, um das neue Bündnis abzusegnen, die anderen Koalitionäre von der nationalistischen Partei "Unser Haus Israel" des Außenministers Avigdor Lieberman bis zur ultra-orthodoxen Schas-Partei wurden nicht gefragt und zogen es zunächst auch vor, nichts zu sagen. Empört zeigte sich allein die Opposition - oder besser gesagt das, was noch von ihr übrig geblieben ist.

Denn im Parlament steht Schelly Yachimovich von der Arbeitspartei künftig mit der ganzen Kraft von acht Abgeordneten gegen 94 Regierungsmandate. Bei einer Neuwahl war für sie mindestens eine Verdopplung der Sitze prognostiziert worden. Nun wettert sie gegen den "Pakt der Feiglinge" und den "verachtungswürdigsten Zickzack in Israels politischer Geschichte". Ausgebremst wurde zudem auch der populäre Neu-Politiker und frühere TV-Journalist Yair Lapid, der sich von einer "ekelhaften politischen Allianz" um einen erhofften Wahlerfolg gebracht sieht.

Machtpolitisch also ist für Netanjahu und Mofas die Rechnung aufgegangen, beide stehen mit dem neuen Bündnis stärker da als vorher. Der Regierungschef muss in dieser breiten Koalition weniger Rücksicht auf einzelne Partner nehmen, hat also mehr Manövrierraum. Sein frisch ernannter Stellvertreter Mofas hat gar seiner Fraktion das komfortable Überleben gesichert. Denn bei einer Neuwahl wäre die Kadima-Partei, die noch 2009 mit 28 Sitzen stärkste Fraktion geworden war, voraussichtlich tief gefallen. Vorerst rückt Mofas allein ins Kabinett ein, doch ein paar seiner Kollegen dürften später noch mit Posten belohnt werden. Schon jetzt umfasst das aufgeblähte Kabinett ungefähr 30 Minister, ein paar mehr könnten es noch werden.

Nach diesem Husarenstück wird es nun jedoch darauf ankommen, wie die Regierung der nationalen Einheit ihre Machtfülle einsetzt. Für einen Militärschlag gegen Iran dürfte Netanjahu zumindest an der Heimatfront seine Position verbessert haben. Denn wo es wenig Opposition gibt, kann es im Kriegsfall auch nicht viel Kritik geben. Aufhorchen ließ am Dienstag bereits Umweltminister Gilad Erdan. "Eine Wahl hätte das iranische Atomprogramm nicht gestoppt", sagte er im israelischen Rundfunk. "Wenn die Entscheidung für oder gegen einen Angriff getroffen wird, ist es besser, über eine breite politische Mehrheit zu verfügen, um die Bevölkerung zu einen."

Netanjahu selbst verzichtete jedoch darauf, die Iran-Frage zu erwähnen, als er am Dienstagmittag mit Mofas an der Seite das Regierungsprogramm skizzierte. "Vier Hauptaufgaben" nannte er und erwähnte als erstes ein neues Gesetz zur Einberufung zum Militärdienst, den künftig auch die heute befreiten Ultra- Orthodoxen leisten sollen. Der Streit darüber war zum Spaltpilz geworden in der alten, rechtsreligiösen Koalition und hatte die Neuwahl-Pläne maßgeblich befördert.

Zudem soll die Einheitsregierung einen bislang ebenfalls heftig umkämpften Sparhaushalt verabschieden sowie nach vagen Ankündigungen das politische System so umbauen, dass künftige Regierungen auf stabileren Füßen stehen. Als letzten Punkt nannte Netanjahu schließlich noch den "Versuch, einen verantwortlichen Friedensprozess" mit den Palästinensern wieder in Gang zu bringen. Dies war in den ersten drei Jahren seiner Regierungszeit nicht gelungen; Mofas versprach jetzt neue Ideen.

Statt in den Wahlkampf will sich Israels Regierung also nun in die Arbeit stürzen. Netanjahu hat sich vorgenommen, als erster Premierminister seit 25 Jahren die volle Legislaturperiode durchzuhalten, er will sich also erst im Herbst 2013 zur Wiederwahl stellen. Dem langen Schatten einer anderen Wahl kann er dennoch nicht entkommen. Im November wird in den USA der Präsident gewählt - und von der Iran-Frage bis zum Friedensprozess wird das entscheidenden Einfluss haben auf die Jerusalemer Politik.

© SZ vom 09.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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