Israel rüstet sich für möglichen Vergeltungsschlag Irans:"Die Gefahr kommt von Norden, Süden und Osten"

Lesezeit: 3 min

Irans Präsident kündigt lautstark einen Durchbruch im Atomprogramm an, in Israel reden alle über einen Angriff auf das Land. Doch nach einem Militäreinsatz gegen die iranischen Atomanlagen wird Israel mit einem blutigen Gegenschlag rechnen müssen. Vor allem der Großraum Tel Aviv, wo das Herz des Staates schlägt, könnte bei einer Vergeltungsaktion Ziel des Raketenhagels werden.

Peter Münch, Tel Aviv

In der "Kirya" herrscht Hochbetrieb. Auf dem Campus mitten in Tel Aviv, der das Verteidigungsministerium und das Hauptquartier der israelischen Armee beherbergt, schwirren Soldaten aller Waffengattungen wie in einem Bienenstock durcheinander. "Hier geht niemals das Licht aus", sagt ein junger Offizier auf dem Weg zum Gebäude der Luftwaffe. Mit dem Aufzug geht es hoch in den 12. Stock, dort liegt das Büro von Brigadegeneral Doron Gavisch. Von seinem Schreibtisch aus schaut er über das weiße Häusermeer der Metropole. Es ist der Blick auf eine Gefahrenzone.

Üben für den Ernstfall: Israelische Soldaten simulieren einen Raketenangriff auf eine Schule in Tel Aviv. (Foto: dpa)

Alle reden vom Angriff in diesen Tagen, General Gavisch aber redet von der Abwehr. Denn im Falle eines israelischen Militärschlags gegen die iranischen Atomanlagen ist er als Kommandeur der Luftverteidigungseinheiten dafür zuständig, die Bevölkerung vor einem Gegenschlag zu schützen. Vor allem dem Großraum Tel Aviv, wo das Herz des Landes schlägt, könnte zur Vergeltung ein Raketenhagel drohen.

In der Bevölkerung steigt die Sorge, doch Gavisch wirkt überraschend entspannt. Sein Schreibtisch ist aufgeräumt, der Tee ist serviert, und mit einem entschlossenen Lächeln sagt der General: "Für die Verteidigung haben wir gute Optionen."

Die scheinen tatsächlich von Nöten zu sein, denn Aviv Kochavi, der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, hatte vorige Woche das Land aufgeschreckt mit einer gewaltigen Zahl: 200.000 Raketen, so sagte er auf einer Sicherheitskonferenz in Herzlija, seien direkt auf Israel gerichtet. Die Rechnung reicht von den selbstgebauten Kassam, die vom Gaza-Streifen aus immer wieder ins Grenzgebiet gefeuert werden, über das weiter entwickelte Arsenal der schiitischen Hisbollah-Miliz in Libanon bis hin zu den iranischen Schahab-3-Mittelstreckenraketen.

General Gavisch kennt die Rechnung, doch seine Botschaft soll beruhigen: "Im Falle eines Angriffs kämpfst du nicht gegen diese Zahl, sondern du kämpfst da, wo du kämpfen willst." Von "Prioritäten-Gebieten" spricht der General, die es zu schützen gelte - Ballungszentren der Bevölkerung und wichtige Infrastruktur-Einrichtungen -, und dafür stünde ein mehrstufiges Raketenabwehr-System parat.

Zahlenspiele zur Beruhigung

Dennoch rücken neben den Spekulationen, ob Israels Luftwaffe tatsächlich allein in der Lage wäre, einen Angriff auf die iranischen Nuklearanlagen erfolgreich auszuführen, die Gefahren eines Gegenschlags immer mehr ins Zentrum der Debatten. An alten Traumata mangelt es nicht: Im Golfkrieg 1991 waren Saddam Husseins irakische Scud-Raketen in Tel Aviv und Haifa eingeschlagen, im Sommer des Libanonkriegs von 2006 hatte die Hisbollah Israel eingedeckt mit einem Regen von 4000 Raketen.

Der frühere Mossad-Chef Meir Dagan erntet gewiss auch deshalb viel Aufmerksamkeit mit seinen eindringlichen Warnungen vor einem Regionalkrieg, dem Israel nach einem Angriff auf Iran ausgesetzt wäre. Verteidigungsminister Ehud Barak dagegen versucht, die Gemüter mit trockenen Zahlenspielen zu beruhigen: "Es gibt keinen Weg, einen Schaden zu vermeiden, und es wird nicht angenehm werden", sagte er. Doch Szenarien mit 50.000 Toten oder 5000 Toten seien völlig überzogen. "Wenn alle in ihren Häusern bleiben, gibt es nicht einmal 500 Tote", erklärte der Minister.

Dieser zweifelhafte Optimismus speist sich vor allem aus einem Milliarden-Programm, mit dem Israels Armee dank tat- und finanzkräftiger Hilfe aus den USA in den letzten Jahren seine Raketenabwehr ausgebaut hat. Ein hoher Offizier, der nicht namentlich genannt werden will, präsentiert dazu zunächst eine Landkarte der Region, um zu zeigen, dass sich die strategische Lage nicht erst durch den arabischen Frühling samt nachfolgender Islamisierung geändert hat.

Die Metropole Tel Aviv mit ihren knapp 400.000 Einwohnern gilt bei israelischen Generälen als eines der wahrscheinlichsten Ziele eines iranischen Vergeltungsschlags. (Foto: REUTERS)

"Der Wandel in der Umgebung ist schon seit zehn Jahren zu sehen", erklärt er und verweist darauf, dass Iran seit dieser Zeit nicht nur sein Streben nach Massenvernichtungswaffen intensiviert, sondern auch die Handlanger von der Hamas und der Hisbollah an Israels Grenzen in Stellung gebracht habe: "Wir wissen schon lange, dass wir in allen Arenen bereit sein müssen. Die Gefahr kommt von Norden, Süden und Osten."

Die Antwort auf die iranische Bedrohung heißt Arrow 3, ein weiterentwickeltes Abwehrsystem gegen ballistische Raketen, das die anfliegenden Geschosse noch außerhalb der Atmosphäre abfangen und damit im Ernstfall auch Massenvernichtungswaffen unschädlich machen soll.

Im Sommer 2010 hatte Israel dazu mit den USA ein Abkommen über die vollständige Übernahme der Entwicklungskosten geschlossen. Als Erfolgsgeschichte präsentiert der Offizier auch ein mit Musik unterlegtes Video vom Einsatz der neuen Iron-Dome-Batterien gegen Kurzstrecken-Raketen an der Grenze zum Gaza-Streifen. "Unter Kampfbedingungen" habe das System seine Tauglichkeit bewiesen, schwärmt er. Die Lücke zwischen Arrow und Iron Dome soll zudem bald ein Abwehrsystem für Raketen mit einer Reichweite zwischen 70 und 250 Kilometer schließen, das als Magic Wand oder David's Sling bekannt ist.

"Die Burschen um uns herum haben bereits verstanden, dass wir eine neue Antwort auf ihre Raketen haben", frohlockt General Gavisch hoch oben im 12. Stock des Luftwaffen-Hauptquartiers. "Wir stehen heute ganz anders da als noch vor zwei Jahren", sagt er.

Die Zeit, die bleibt

Doch der Offizier vor der Landkarte hatte auch gewarnt, dass "kein System hermetisch" sei. "Mit unserem Abwehrsystem können wir ausgewählte Gebiete schützen, doch nicht das ganze Land", meint er. Man müsse also immer damit rechnen, dass auch Raketen durchkommen. "In einigen Jahren", sagt er, "werden wir bestimmt noch viel besser sein."

Doch keiner kann sagen, ob so viel Zeit noch bleibt. Denn das hängt nicht von General Gavisch und seiner Luftabwehr ab, sondern von den Politikern und ihren möglichen Angriffsplänen.

© SZ vom 11.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: