Ermordung von Jitzchak Rabin:Das Attentat, das Israel den Konjunktiv brachte

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Staatsbegräbnis am 6. November 1995: Rabins Enkel Jonathan Ben Artzi umarmt seine Schwester Noa, Rabins Tochter Dalia (links) sieht zu. (Foto: Reuters)
  • Vor 20 Jahren wurde der israelische Premierminister Jitzchak Rabin nach einer Rede erschossen.
  • Der Friedensnobelpreisträger war Israels Hoffnung auf eine friedliche Zukunft.
  • Die Wunden von Rabins Tod sind bis heute nicht verheilt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Drei Schüsse sind es gewesen. Jitzchak Rabin kommt die Treppe herunter nach einer viel umjubelten Rede auf dem Tel Aviver "Platz der Könige Israels", die Leibwächter geleiten ihn zum Auto, die letzen Bilder zeigen ihn beschwingt und winkend.

Seit 20 Jahren lebt Israel im Konjunktiv

Dann feuert der Attentäter jene drei Schüsse ab aus einer Pistole, es ist eine Beretta 84F, Rabin sinkt zu Boden. Jigal Amir, ein 25 Jahre alter jüdischer Jura-Student, hat den Premierminister erschossen. Es ist der 4. November 1995 - und seitdem lebt Israel im Konjunktiv: Was wäre gewesen, wenn . . .

Dass mit dem 73-jährigen Rabin die Hoffnung auf den Frieden begraben wurde, ist eine Weisheit, die bis heute in viele Gedenksteine gemeißelt wurde. Sein Tod gilt als eines jener singulären Ereignisse, die den Lauf der Geschichte verändert haben. Zum 20. Jahrestag gedenkt das ganze Land, und deutlich wird dabei zweierlei: dass es einen wie ihn nicht mehr gegeben hat. Und dass die Wunden dieser Tat bis heute nicht verheilt sind.

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Miri Aloni war eine berühmte Sängerin in Israel. Kurz bevor Jitzchak Rabin 1995 ermordet wurde, stand sie mit ihm auf der Bühne. Heute ist sie fast vergessen.

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Ein Held war Rabin ja auf vielen Feldern: Von der Staatsgründung 1948 an hatte er in allen Kriegen gekämpft, im Sechstagekrieg von 1967 stand er als Generalstabschef der Armee vor und marschierte vorneweg an der Seite von Verteidigungsminister Mosche Dajan in die eroberte Jerusalemer Altstadt ein. In der ersten Intifada Ende der Achtzigerjahre drohte er als Verteidigungsminister den palästinensischen Steinewerfern noch, "ihre Hände und Beine zu brechen". Doch 1993 unterzeichnete er zusammen mit Jassir Arafat die Friedensverträge von Oslo, die den Weg zur Zwei-Staaten-Lösung vorzeichneten.

Die Welt ehrte ihn zusammen mit Arafat und Schimon Peres mit dem Friedensnobelpreis, seinem Volk verhieß er noch in seiner letzten Rede, unmittelbar vor den drei Schüssen, eine bessere Zukunft: "Der Weg des Friedens ist dem Weg des Krieges vorzuziehen. Ich sage euch das als jemand, der 27 Jahre lang ein Mann des Militärs war."

Rabin ist allgegenwärtig, seine Politik aber auf dem Abstellgleis

Wer sich heute auf die Suche macht nach seinem Vermächtnis in einem Land, das gemeinhin im Schatten der Vergangenheit immer nur nach vorne stürmt, der findet Rabin überall. Eine Autobahn ist nach ihm benannt, keine Stadt blieb ohne Rabin-Straße, und natürlich trägt auch der Tel Aviver Platz , auf dem der Mord geschah, heute seinen Namen. Allein in Tel Aviv finden derzeit drei Fotoausstellungen über sein Leben, sein Werk und seinen Tod statt. Und natürlich gibt es auch noch das "Rabin Center" im Norden von Tel Aviv, in dem seine Tochter Dalia das Erbe verwaltet. Der wuchtige Museumsbau gleicht in diesen Tagen einem Taubenschlag. Alte und Junge, Soldaten und Schüler pilgern hierher zum Schwelgen und Schaudern. Die Vergangenheit wird am Leben gehalten in 180 Dokumentarfilmen, 1500 Bildern und Hunderten von Andenken bis hin zu seinen geliebten Time-100-Zigaretten.

So ist Jitzchak Rabin zum ubiquitären Säulen- und Posterheiligen des Friedens veredelt worden - doch seine Politik ist auf dem Abstellgleis gelandet. Seine einst ruhmreiche Arbeitspartei hat die Orientierung verloren und darbt in der Opposition, seine Osloer Verträge werden höchstens noch im Zusammenhang mit Schimpftiraden zitiert.

Bei der jüngsten Vollversammlung der Vereinten Nationen hat sie Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas de facto aufgekündigt - und damit höchstens noch ein Schulterzucken ausgelöst nach zwei Jahrzehnten der Stagnation. Beim offiziellen Staatsakt zum 20. Todestag, der nach dem jüdischen Kalender schon in dieser Woche begangen wurde, schwang sich sogar Premierminister Benjamin Netanjahu auf, Rabin für dessen Politik der eisernen Faust gegenüber den Palästinensern in Dienst zu stellen. "Wir müssen heute den Terrorismus so bekämpfen wie es Rabin tat", sagte er. Der Rest war Schweigen.

Schließlich war es Netanjahu, der 1995 als Oppositionsführer an der Spitze des Kampfes gegen Oslo und die Friedenspolitik gestanden hatte, in dem Rabin von jüdischen Extremisten als Verräter geschmäht, auf Fotomontagen in SS-Uniform gezeigt und mit dem Tod bedroht wurde.

Rabins Witwe Leah hatte Netanjahu deshalb am Grab den Handschlag verweigert, und auf einer der zahlreichen Gedenkfeiern klagte in diesen Tagen Adi Eldar, Bürgermeister der Kleinstadt Carmiel und ein Gefolgsmann des Ermordeten, dass nun die "Partner des Attentäters" das Land regierten. "Es gab einen Idioten, der es ausgeführt hat", sagte er. "Aber man muss sich immer daran erinnern, dass es neben dem Finger, der den Abzug gedrückt hat, noch viele andere Finger gibt, die heute in Israel an der Macht sind."

Lebendig ist sein Erbe in den Nischen der Gesellschaft

So tief also sind die Gräben, die diese Tat gerissen hat, Rabins Erbe steckt zwischen Verklärung und Vorwürfen. Lebendig ist es vor allem noch in den Nischen der Gesellschaft, bei den alt gewordenen Friedensaktivisten und auch bei ein paar jungen Leuten wie Aja Zohar. 26 Jahre ist sie alt.

"Als ich klein war, haben meine Eltern gedacht, dass ich später nicht mehr zur Armee muss, weil es dann Frieden gibt", sagt sie. Doch natürlich hat auch sie noch gedient für zwei Jahre, wie alle jungen Frauen. Für Männer dauert der Armeedienst gar drei Jahre. Mit Freunden von der "Jugendorganisation für Arbeiter und Studenten" hat sie zum 20. Todestag landesweit 30 Zelte aufgebaut, eines steht auch auf dem Tel Aviver Rabin-Platz. Hier wird Theater gespielt und debattiert über die Vergangenheit, die Aja Zohar als "Warnzeichen" sieht für Israels Gesellschaft. "Der Mord an Rabin zeigt, dass aus Worten Taten werden können", sagt sie - und verweist auf eine jüngste Umfrage, wonach 70 Prozent der Israelis glauben, dass auch heute wieder ein politischer Mord aus den eigenen Reihen möglich sei.

Präsident Rivlin sagt, dass eher seine "Hand verdorren" solle, als dass er den Mörder begnadigt

So wie einst Rabin wird heute Präsident Reuven Rivlin als Verräter geschmäht, wenn er einen friedlichen Ausgleich mit den Palästinensern anmahnt - dabei gehört der Likud-Politiker eigentlich selbst zum rechten Lager.

Sogar der Attentäter Jigal Amir, der eine lebenslange Haftstrafe absitzt, gilt manchen noch als Held. Fans des Jerusalemer Fußballklubs Beitar skandierten vor wenigen Tagen seinen Namen bei einem Auswärtsspiel in Tel Aviv, im Internet kursieren wüste Verschwörungstheorien. Als Rivlin in dieser Woche klarstellte, dass eher seine "rechte Hand verdorren" solle, als dass er eine Begnadigung des Mörders unterzeichnen würde, bekam er per Facebook Antwort von Hagai Amir, dem Bruder des Attentäters. Den Mord an Rabin nannte er darin als "vorherbestimmt von Gott", und Gott würde auch dafür sorgen, dass "Rivlin aus der Welt verschwindet".

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An diesem Samstag soll in Tel Aviv noch einmal Flagge gezeigt werden gegen solchen Hass und solche Hetze. Bei einer Großdemonstration auf dem Rabin-Platz werden Rivlin reden und der frühere US-Präsident Bill Clinton, der damals Pate stand im Friedensprozess.

Auch Aja Zohar wird da sein, die jungen Aktivistin mit dem Zelt. Sie weiß, dass viele in Israel nach Rabins Tod den Glauben an den Frieden verloren haben, doch jetzt hofft sie auf großen Zulauf, auf einen neuen Aufbruch. "Ich vertraue nicht auf die israelische Regierung", sagt sie, "aber ich vertraue auf das israelische Volk."

© SZ vom 31.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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