Island:Eine Piratin als Regierungschefin?

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Birgitta Jónsdóttir: Wird eine Piratin neue Regierungschefin von Island? (Foto: dpa)

Wird Birgitta Jónsdóttir neue Ministerpräsidentin von Island? Lange sahen Umfragen die Piraten bei 40 Prozent, doch im letzten Moment scheint sich das Blatt zu wenden.

Von Silke Bigalke

Sie mag die Frage nicht, man sieht ihr das an: Wollen die Isländer diese Wahl überhaupt noch? Birgitta Jónsdóttir sitzt in dem kleinen Büro ihrer kleinen Fraktion, nur drei Abgeordnete haben die isländischen Piraten derzeit im Parlament. Bald werden es deutlich mehr sein, wenn die Umfragen nicht völlig daneben liegen. Die Umfragen zeigen aber auch, wie unsicher viele Wähler immer noch sind.

Birgitta Jónsdóttir zieht die Augenbraun zusammen. Die 49-jährige Piratin könnte bald Islands Ministerpräsidentin sein. Sie weiß überhaupt nicht, ob sie das will. Ihr geht es um etwas anderes, man kann es als Rettung der Demokratie zusammenfassen. "Das ist das einzige Werkzeug, das wir haben, und ich meine gesunde, pulsierende Demokratie, in der die Menschen tatsächlich verstehen, dass sie eine Rolle spielen." Das Vertrauen in diesen Prozess schwinde derzeit auf der ganzen Welt, sagt sie.

Pulsierende Demokratie, in Reykjavik ist davon in den Tagen vor der Wahl wenig zu sehen. Der Wahlkampf findet hauptsächlich in TV-Debatten und auf Facebook statt. Im April, ja, da waren sie auf der Straßen, haben sich zum größten Protest der isländischen Geschichte getroffen. Die Panama Papers hatten enthüllt, dass drei Minister, einschließlich des Premiers, Offshore-Vermögen verschwiegen hatten. Viele Tausend Isländer zogen vor das Parlament und forderten Neuwahlen. Der Premierminister trat mit viel Gezeter zurück. Die Piratenpartei kletterte in den Umfragen auf mehr als 40 Prozent.

Die Wahlen kommen jetzt, sieben Monate später, und die Werte für die Piraten sind um die Hälfte gefallen. Sie reichen trotzdem noch aus für den ersten oder zweiten Platz, je nach Umfrage schwankt das sehr. Die Wut der Menschen scheint Verunsicherung gewichen zu sein. Sie wissen nicht, ob sie das neue Island, das ihnen die Piraten versprechen, immer noch wollen, oder ob das alte nicht doch ganz okay ist. Schließlich geht es wirtschaftlich bergauf.

Deswegen könnte die alte Unabhängigkeitspartei am Ende nun doch wieder die stärkste Partei werden. Gemeinsam mit der Fortschrittspartei stellt sie die Regierung, gegen die die Menschen im April protestiert hatten. Von einer Wiederwahl nach den Panama-Enthüllungen kann dennoch kaum die Rede sein. Gemeinsam kommen die beiden Parteien wahrscheinlich nicht mehr als auf ein Drittel der Stimmen. Um weiter zu regieren, bräuchten sie einen Partner. Sieben Parteien könnten es in Parlament schaffen, noch alles ist offen.

"Aufstieg der Extremisten, der Faschisten, und der Aufstieg der Angst"

Die Piraten haben versucht, etwas mehr Sicherheit in den Wahlkampf zu bringen. Sie haben einen Pakt vorgeschlagen, auf den die anderen Oppositionsparteien drei Tage vor der Wahl eingegangen sind: Sie wollen gemeinsam eine Regierung bilden. So eine Vereinbarung hat es vor einer isländischen Wahl noch nie gegeben.

Den Piraten, sagen manche, fehle eine politische Ideologie. Sie wollen eine neue Verfassung mit mehr direkter Demokratie, einem neuen Wahlsystem und gerechteren Abgaben für die Fischereiquoten, damit alle Isländer etwas davon haben und nicht nur eine kleine Gruppe reicher Bootsbesitzer. Sie wollen mehr Geld ins Gesundheitssystem stecken und Transparenz gegen Korruption schaffen.

Birgitta Jónsdóttir, die die Partei ohne Parteichef mitgegründet hat, vergleicht die isländischen Piraten mit der linken Partei Podemos in Spanien, mit Syriza in Griechenland oder "Die Alternative" in Dänemark. Es gehe ihrer Partei längst nicht mehr nur um Informationsfreiheit und Datenschutz. Sie wolle den Menschen zeigen, dass sie sich gemeinsam für Veränderungen engagieren können, ohne dabei von Angst getrieben zu sein. "Wir haben das in Europa lange nicht gesehen", sagt sie.

Stattdessen passiere das totale Gegenteil, "der Aufstieg der Extremisten, der Faschisten, und der Aufstieg der Angst zur Plattform, um Menschen in dieser Angst zu engagieren." Birgitta Jónsdóttir möchte in Island den Gegenbeweis erbringen zu Trump in den USA, zur Brexit-Debatte, zu den AfD-Demos in Deutschland. Sie weiß, dass das große Erwartungen sind. "Es gibt so viel Druck, nicht zu versagen."

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