Island:Düstere Gesetze und weiße Westen

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Erst ein Jahr im Amt und muss sich schon wieder auf Wahlen vorbereiten: Regierungschef Bjarni Benediktsson steht in der Kritik. (Foto: Haraldur Gudjonsson/AFP)

Die Regierung in Reykjavík scheitert wegen eines Skandals, der symbolhaft ist für die Geheimniskrämerei.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Ende Oktober werden die Isländer wieder wählen, ein Jahr nach der jüngsten Wahl. Erneut ist es ein Skandal, an dem die Regierung zerbrochen ist. Wieder einmal hat ein Konstrukt aus schwachen Gesetzen, Geheimnissen und alten Männerbunden dazu geführt. Das frühe Ende der Koalition ist keine Überraschung, der Auslöser trotzdem unerwartet.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten die Neuwahlen wenig mit dem Streit unter Politikern zu tun. Der Skandal dreht sich um einen Mann, der seine Stieftochter über Jahre vergewaltigt hat. Er war dafür 2004 zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Danach wollte er sein Strafregister löschen lassen. In Island ermöglicht ein altes Gesetz, dass ehemals Verurteilte auf diese Weise bestimmte Rechte zurückerhalten, etwa wieder als Juristen arbeiten, ins Parlament einziehen oder Präsident werden können. Dazu brauchen sie zwei Freunde, die schriftlich für ihren Charakter bürgen. Einer der Freunde, die sich für den Vergewaltiger einsetzten, war der Vater des Premierministers.

"In dieser Nische älterer Männer gelten Sexualverbrechen als unerheblich", sagt ein Opfer-Vater

Über diese "Ehrwiederherstellung" für Kinderschänder ist in Island viel gestritten worden, seitdem kürzlich ein anderer Fall bekannt wurde: Ein Täter, der sich Robert Downey nannte und mehrere minderjährige Mädchen missbraucht hatte, konnte 2016 seine Weste weiß waschen. Auch der isländische Präsident, der die Gesuche letztlich unterschreibt, kritisierte das Verfahren. Im Juli gingen in Reykjavík Tausende Menschen auf die Straße, um gegen sexuelle Gewalt und das isländische Rechtssystem zu protestieren. Im selben Monat hatte der bisherige Premier Bjarni Benediktsson vom Brief seines Vaters für den Kinderschänder erfahren und beschlossen, ihn zu verschweigen.

Ein Gesetz, Strafakten zu löschen und dafür alte Freunde um Gefallen zu bitten, ist für viele Isländer zum Symbol für Geheimniskrämerei und Vetternwirtschaft geworden. "In dieser kulturellen Nische älterer Männer gelten Sexualverbrechen als unerheblich", erklärte der Vater eines von Robert Downeys Opfern. Und die Stieftochter des Mannes, der den Vater des Premiers kennt, sagte der Presse, dass der Täter von damals immer noch Kontakt suche.

Der Vater des Premierministers, Benedikt Sveinsson, hat sich für den Brief entschuldigt. Er ist in Island, in dem etwa so viele Menschen leben wie in Bielefeld, genauso bekannt wie sein Sohn. Beide gehören einer einflussreichen Familie aus Unternehmern und Politikern an, in der die Politiker den Firmenchefs oft den Rücken frei gehalten haben. Bevor Bjarni Benediktsson ins Parlament einzog, war er an den Familiengeschäften beteiligt gewesen. Sein Onkel gehört zu Islands Unternehmerelite. Sein Großonkel war Premier.

Als der Fehltritt des Vaters bekannt wurde tat Benediktsson das, was er oft tut, wenn er in der Kritik steht. Er stellt sich als schuld- und ahnungslos hin. So war es auch im Skandal um die Panama Papers, der die Regierung 2016 stürzte. Damals wurde nicht nur das Offshore-Vermögen des Premiers Sigmundur Davíð Gunnlaugsson und seiner Frau öffentlich, sondern auch das von Bjarni Benediktsson. Der war damals Finanzminister und erklärte, er habe nichts vom Standort seiner Firma auf den Seychellen gewusst. Er blieb im Amt, seine konservative Unabhängigkeitspartei wurde in den vorgezogenen Wahlen stärkste Kraft, Benediktsson Premierminister. Kurz vor Amtsantritt kam heraus, dass er im Wahlkampf ausgerechnet einen Bericht über isländisches Offshore-Vermögen zurückgehalten hatte. Wieder hielt er Unwissenheit vor, behauptete, den Bericht zu spät gesehen zu haben - was er dann aber halb zurücknehmen musste.

Er sei schockiert gewesen vom Brief des Vaters, sagte Bjarni Benediktsson nun und kritisierte das Gesetz für weiße Westen scharf. Für den Koalitionspartner "Helle Zukunft" kommt das zu spät. Es sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte, sagte deren Chef Óttarr Proppé, als er die Koalition vergangene Woche kündigte. Seine Partei und die Unabhängigkeitspartei waren von Anfang an unnatürliche Partner gewesen. Proppé hatte während der Unruhen um die Panama Papers heftig gegen die Regierung protestiert. Doch dann hatte es Monate gedauert, überhaupt eine neue Koalition zu bilden. Am Ende fand er mit der Unabhängigkeitspartei und der neuen Reformpartei einen Kompromiss, unter dem vor allem die "Helle Zukunft" als kleinster Partner seither gelitten hat. Nun geht wohl alles von vorn los. Präsident Guðni Jóhannesson hat die Isländer bereits ermahnt, im Oktober wieder zur Wahl zu gehen, trotz Enttäuschung und Ungeduld.

© SZ vom 20.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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