Islamismus:Im Hexenkessel der Religion

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Werner Ruf sieht den Islamischen Staat als Ausdruck ökonomischer Zwänge. Auch die "US-Hegemonie" spielt eine Rolle.

Von Wolfgang Freund

Der Politologe Werner Ruf hat ein zweites Mal "konterislamistisch" zugeschlagen. Der heute aus dem Ruhestand Schreibende war einst an der Universität Kassel (1982 - 2003) Professor für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und verfügt auch über universitären "Migrationshintergrund" (Aix-en-Provence) während der Post-Mai-1968er-Jahre. 2014 gab es von ihm ein erstes Bändchen in diese Richtung ("Der Islam - Schrecken des Abendlands"), worin der Autor, unter anderem und zu Recht, mit so merkwürdigen "Spezialisten" wie Thilo Sarrazin, Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad einige Hühnchen rupft. Jetzt geht es dem "Islamischen Staat" als solchem an den Kragen. Aber aufgepasst, nicht irgendwie!

Werner Ruf steht ideologisch links, seine Argumentationskette funktioniert entsprechend: konkrete Geschichte als Ausdruck ökonomischer Zwänge. Die Logik seines Buches geht "vom Ende des Osmanischen Reiches und seinen Folgen" über "Arabischen Frühling" hin zum "Islamischen Staat" endend im "nahöstlichen Hexenkessel". In einer Hauptrolle: "US-Hegemonie" als allgegenwärtiges Krebsgeschwür.

In Sachen Nahostkonflikt argumentiert Ruf verdeckt. Zwar schlägt sein Herz für die Palästinenser, und für das heutige Israel "à la Bibi" - gemeint ist Ministerpräsident Benjamin Netanjahu - hegt er wenig Sympathien. Das kommt aber nur indirekt zum Ausdruck, etwa dort, wo der Autor scharfe Kritik an Saudi-Arabien übt, das er zu Recht als Brutstätte des militanten Islamismus brandmarkt. Ohne Saudi-Araber und und Katarer - "regionalpolitisch" auch indirekte "Partner" Israels? - keine al-Qaida, kein "Islamischer Staat". Das trifft zu. Ob sich dahinter zusätzlich ein weltverschwörerisch-neoliberaler US-Globalplan verbirgt, wagt der Rezensent nicht zu behaupten. Werner Ruf wirkt indessen anfällig für solche "Hochrechnungen".

Der Autor vermeidet es, islamophob aufzutreten. Er will nicht als Neokolonialist gelten

Auch kommt man als Rezensent nicht von seiner Überzeugung los, dass der Islam als Weltreligion in einer tiefen Krise steckt und die Gründe für die heute durch ihn hervorgebrachten Schrecknisse auch in jenen Bereichen zu suchen sind, die er selbst durch einen Rückzug in ausweglose Sackgassen verursacht. Es gibt hierfür keinen besseren Zeugen als den syrischen muslimischen, in Paris lebenden Dichter und Denker Adonis, mit bürgerlichem Namen Ali Ahmad Said Esber, der in einem vergangenes Jahr erschienenen Diskussionsbuch ("Violence et Islam") mit der franko-marokkanischen Psychotherapeutin Houria Abdelouahed, einer Dozentin an der Université Paris-VII, dieses Problem in seiner ganzen Schärfe aufwirft.

Solche Fragen stellt Werner Ruf nicht einmal in Ansätzen. Verstehbar, aus seiner ideologischen Ecke heraus. Dort gilt Religion, welchen Gebetbuches auch immer, als Funktion ökonomischer Verhältnisse und Zwänge oder, wie schon Väterchen Marx gepredigt hatte, als "Opium für das Volk".

Andererseits darf Werner Ruf nicht islamophob auftreten und muss sich davor hüten, den Islam beziehungsweise die sich zu ihm bekennenden Muslime abzuwerten; denn solche Attitüde wäre "neokolonialistisch" oder gar "neonazistisch" und in jener Kleiderordnung, der er sich verbunden weiß, kaum unterzubringen. Solcherart ist seine philosophische Crux.

Das Buch, gut dokumentiert, bleibt aber lesenswert. Doch einige Seiten sollte man vielleicht mit der Pinzette wenden.

Wolfgang Freund ist deutsch-französischer Sozialwissenschaftler (Schwerpunkt "Mittelmeerkulturen"). Zahlreiche Publikationen auf Deutsch, Französisch und Englisch. Lebt heute in Südfrankreich.

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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