Irak:Dunkle Zeiten für die Kurden

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Die umstrittenen Gebiete sind an Bagdad gefallen, die Unabhängigkeit ist nur noch ein ferner Traum. Nun fordert die Opposition den Rücktritt von Präsident Barzani.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Vor vier Wochen haben die Menschen in der kurdischen Autonomieregion im Irak abgestimmt, ob sie in einem eigenen, unabhängigen Staat leben wollen, der auch die von den Peschmerga kontrollierten Teile der mit der Zentralregierung in Bagdad umstrittenen Gebiete umfassen sollte - vor allem die Ölstadt Kirkuk. Das Ergebnis war klar: 92,7 Prozent stimmten mit Ja. Doch der rauschende Jubel nach dem Votum ist Depression gewichen: Die Politik in den Kurdengebieten ist in der tiefsten Krise, seit vor mehr als drei Jahren die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bis auf 35 Kilometer auf Erbil vorrückte.

Unabhängigkeit ist nur noch ein ferner Traum; die Peschmerga sind aus allen mit Bagdad umstrittenen Gebieten abgezogen, weitgehend kampflos, ja gedemütigt. Am Freitagmorgen kam es zu schweren Gefechten mit Truppen der Zentralregierung um Altun Köprü, einem Ort an der Provinzgrenze zwischen Kirkuk und Erbil, der Hauptstadt der Autonomieregion. Seither überziehen sich beide Seiten mit Propaganda und Vorwürfen, mit US-Waffen, geliefert zum Kampf gegen den IS, angegriffen zu haben. Haftbefehle gegen Funktionäre der anderen Seite werden erlassen.

Kommandeure der PUK-Partei befahlen den Rückzug. Nun ist von Verrat die Rede

Die wichtigste kurdische Oppositionspartei, Gorran, forderte den Rücktritt von Präsident Massud Barzani und eine Regierung der nationalen Rettung, um die Krise mit Bagdad und den Nachbarstaaten Iran und Türkei zu überwinden. Barzani hatte das Referendum im Alleingang angekündigt, aber die meisten Kurden-Parteien dafür gewonnen - unter anderem mit der Zusage, im November Parlaments- und Präsidentenwahlen abzuhalten. Nur Gorran und eine islamistische Partei lehnten es ab, weil sie den Zeitpunkt für falsch hielten. Das Parlament hat wegen eines Streits zwischen Gorran und Barzanis Demokratischer Partei Kurdistans seit 2015 nicht getagt. 2013 hatten die Abgeordneten Barzanis Amtszeit nach dem Erreichen der Begrenzung von zwei mal vier Jahren um zwei Jahre verlängert - er amtiert immer noch. Auch war bei der Wahlkommission kein Vorschlag für einen Gegenkandidaten eingegangen. Nun sind die Wahlen auf unbestimmte Zeit verschoben. Es könnte aber die Zeit für einen Umbruch reif sein.

Irakische Soldaten sammeln sich außerhalb der Stadt Altun Köprü. Am Freitag kam es hier zu schweren Gefechten zwischen Truppen der Zentralregierung und den Kurden. (Foto: Khalid Mohammed/AP)

Barzani hatte sich vor allem auf einen Deal mit der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) gestützt, der Partei seines langjährigen Widersachers Jalal Talabani. Die beiden Parteien, die beiden Clans teilen sich seit Jahren Macht und Pfründe, gelten zugleich als schwerreich und korrupt. Jalal Talabani, lange von einem Schlaganfall gezeichnet, starb am 3. Oktober; die Führungs- und Nachfolgekrise in der PUK wurde damit noch dringender. Es waren Peschmerga-Kommandeure aus Reihen der PUK, die ihren Männern den Abzug aus Kirkuk befahlen und damit die Front gegen die überlegenen Kräfte der irakischen Regierung und von Iran unterstützten Schiiten-Milizen zum Kollaps brachten. Das Wort Verrat macht die Runde, obwohl die PUK-Kommandeure wohl nur einem sinnlosen Kampf aus dem Weg gegangen sind.

Lange waren westliche Diplomaten davon ausgegangen, Barzani wolle die Ankündigung eines Referendums als Druckmittel nutzen, um Bagdad zu Verhandlungen zu zwingen und der internationalen Gemeinschaft Garantien abzutrotzen. Allerdings zeigte sich da schon, dass Barzani Forderungen stellte, die selbst seinen engsten Verbündeten in den USA zu weit gingen. Laut westlichen Diplomaten bestand der Kurden-Präsident auf einer schriftlichen Zusicherung auf Minister-Ebene, dass jegliche Verhandlungen mit Bagdad zu einem unabhängigen Kurdistan führen.

Damit blitzte er ab. Der US-Sondergesandte für den Kampf gegen den IS, Brett McGurk, machte ihm klar, dass die USA und die Anti-IS-Koalition der territorialen Einheit des Irak Priorität geben - eine Warnung, dass die Kurden bei Auseinandersetzungen um die umstrittenen Gebiete nicht mit Waffenhilfe würden rechnen können. Barzani hielt trotzdem an der Abstimmung fest. Er schlug auch Warnungen seines anderen Verbündeten aus, der Türkei - und trieb Ankara ungeachtet der massiven Wirtschaftsinteressen in Kurdistan in enge Abstimmung mit Teheran und Bagdad.

Westliche Diplomaten mutmaßen, Barzani habe die Emotionen nicht mehr einfangen können, die er geschürt hatte. Überdies hätte eine Absage das Ende seiner Karriere bedeutet. Seine Hintersassen bestreiten, dass der Präsident der Zentralregierung von Premier Haider al-Abadi den Vorwand für das Vorrücken geliefert habe. Von Iran kontrollierte Schiitenmilizen hätten den Vorstoß ohnehin geplant. General Qassim Soleimani, der Chef der bei den Revolutionsgarden für Auslandseinsätze zuständigen Quds-Brigaden, hielt sich über Wochen im Kurdengebiet und der Region südlich von Kirkuk auf - und drohte ziemlich offen. Letztlich nutzte er die engen Verbindungen Teherans zur PUK, um die Kurden zu spalten. Der Plan ging auf.

Auf den Aufruf von US-Außenminister Rex Tillerson, die iranisch kontrollierten Milizen müssten den Irak verlassen, erwiderte ein Mitarbeiter des US-Verbündeten Abadi, niemand habe das Recht, sich in innere Angelegenheiten des Irak einzumischen. Das klingt wie Hohn angesichts von Soleimanis Rolle - entspricht aber wohl den Machtverhältnissen im Irak.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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