Irak:Der lange Arm des Predigers

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Der Milizenführer und Prediger al-Sadr treibt die irakische Regierung vor sich her. Manche sprechen schon von Putsch.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Der Prediger hat sich in die heilige Stadt Nadschaf zurückgezogen, das Zentrum der irakischen Schiiten und Sitz der wichtigsten Ayatollahs. Doch der Einfluss des Klerikers mit dem runden Gesicht und dem markanten Bart reichte bis in die Grüne Zone von Bagdad. Angestachelt von einer im Fernsehen übertragenen Rede Muqtada al-Sadrs stürmten seine Anhänger am Samstag Regierungsviertel und Parlament. Und auf seine Aufforderung hin verließen sie den Bezirk am Sonntagabend wieder, friedlich und im Gänsemarsch. Nicht ohne die Drohung, schon am Freitag zurückzukommen, sollten ihre Forderungen nach Reformen und einer neuen Regierung nun nicht endlich Gehör finden.

Ob Sadr die Regierung von Premier Haidar al-Abadi stürzen oder tatsächlich nur der grassierenden Korruption ein Ende setzen will, das weiß wohl nur er selbst. Sicher ist nur, dass der inzwischen 42 Jahre alte Politiker und Milizenführer wieder eine zentrale Rolle spielt. Von einem innerschiitischen Machtkampf ist in Bagdad die Rede, von Putsch, es zirkulieren wilde Verschwörungstheorien. Dazu trägt sicher bei, dass kaum jemand politisch so wandlungsfähig ist wie Sadr. Das heißt viel im Irak, wo Wendigkeit zu den wichtigsten Überlebensstrategien in der Politik gehört.

Muqtada al-Sadr stieg nach der US-Invasion in Irak 2003 zu einem der entschiedensten Besatzungsgegner auf. Er trägt den schwarzen Turban, der ihn als Abkömmling des Propheten ausweist. Seine Herkunft und die Beziehungen seiner Familie verschafften ihm Gefolgschaft. Sein Vater war ein geachteter Großayatollah. Mit zwei seiner Söhne wurde er 1999 ermordet; ein Anschlag, der dem Geheimdienst des Baath-Regimes von Saddam Hussein zugerechnet wird, der die Schiiten unterdrückte. Nach dem Sturz des Diktators wurde das Armenviertel Saddam City in Bagdad zu seinen Ehren umbenannt in Sadr City. Hier hat Sadr seine Basis, hier rekrutierte er 2004 die Kämpfer seiner Mahdi-Armee, benannt nach dem verborgenen zwölften Imam, den die Schiiten als Erlöser erwarten. Den Amerikanern wurde die Miliz mit zeitweise 60 000 Mann unter Waffen zum gefürchteten Gegner. Sie vermuteten die Iraner hinter Sadr. Später wurden den Sadristen viele Morde an Sunniten angelastet. 2008 ging ihr Anführer ins selbstgewählte Exil in Iran.

Zurück im Irak verhalf Sadr mit seiner Partei 2011 Nuri al-Maliki zu einer weiteren Amtszeit als Premier, dann verbündete er sich mit sunnitischen Kräften gegen ihn. Heute lässt der Populist keine Gelegenheit aus, seinen einstigen Partner zu beschimpfen. Auch gegen Qassem Soleimani skandierten seine Anhänger, den General der iranischen Revolutionsgarden, auf den Schiiten-Milizen im Irak hören, die Sadr Leute abspenstig machen. Seine Miliz hatte er 2014 wieder mobilisiert, um Bagdad und schiitische Gebiete gegen den Vormarsch des sogenannten Islamischen Staates zu verteidigen, seither sind sie umbenannt in Friedens-Brigaden. Wie tief der Hass gegen Schiiten geht, stellte der IS am Montag erneut unter Beweis: Elf Menschen, darunter mehrere schiitische Pilger, kamen bei der Explosion eines Fahrzeugs in Bagdad ums Leben. Der IS bekannte sich zu der Tat.

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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