Irak:Demokratie unter Feuer

Lesezeit: 2 min

Rauch über Bagdad, diesmal aber nicht wegen eines Terror-Anschlags. Sicherheitskräfte retten Plastik-Urnen – und damit einen Teil der Wahlzettel. (Foto: REUTERS)

In Bagdad gehen ausgerechnet jene Gebäude in Flammen auf, in denen Stimmzettel zur Neuauszählung lagern. Nur die wenigsten glauben an einen Zufall.

Von Moritz Baumstieger, München

Die große schwarze Rauchwolke, die sich am Sonntagnachmittag über der "District 211" genannten Nachbarschaft westlich des Zoos von Bagdad ausbreitete, ließ Schlimmstes befürchten. Seit einigen Tagen schon überziehen Schläferzellen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat den Irak wieder mit ihrem Terror. Und die vielen Krankenhäuser, die sich in dem Viertel befinden, wären durchaus typische Ziele für die perfiden Attacken des IS.

Der schwarze Qualm vom Sonntag war jedoch nicht die Folge eines feigen Angriffs auf unschuldige Zivilisten. Das Großfeuer im District 211 war nach den Worten von Premierminister Haider al-Abadi eher ein "Attentat auf die irakische Demokratie": Ein der Regierung gehörender Hallenkomplex stand da in Flammen, in dem der größte Teil der Stimmzettel und Wahlmaschinen der Parlamentswahl vom 12. Mai eingelagert war - und das nur wenige Tage, nachdem das Parlament eine manuelle Neuauszählung aller Stimmen angeordnet hatte, weil sich die Verdachtsfälle auf Wahlbetrug häuften. Dass der Brand rein zufällig und ohne Zusammenhang mit dem Entschluss zur Neuauszählung ausgebrochen war, konnte sich auch der Vorsitzende des irakischen Parlaments nicht vorstellen: "Das war ein vorsätzlicher Akt, ein geplantes Verbrechen, das den Betrug und die Manipulation verschleiern sollte", sagte Salem al-Jabouri, der seinen Sitz bei der Wahl im Mai überraschend verloren hatte.

Feuerwehrmänner und Soldaten versuchten, möglichst viele der etwa zehn Millionen Stimmzettel in Sicherheit zu bringen und reichten die versiegelten Wahlurnen aus Plastik in Menschenketten weiter, bis sich diese im Hof vor den Lagerhallen stapelten. Die Behörden meinen zwar, dass der Großteil der Unterlagen gerettet werden konnte, ermitteln aber immer noch, welche und wie viele Dokumente verloren gingen. Parlamentspräsident al-Jabouri und andere fordern deshalb Neuwahlen - was der Sieger der Abstimmung vom 12. Mai wenig überraschend ablehnt.

"Beendet den Kampf um Sitze, Posten, Einfluss, Macht und Herrschaft", schrieb der schiitische Kleriker Muqtada al-Sadr am Montag in einem offenen Brief. Anstatt über Neuwahlen zu debattieren, sollten die Politiker des Irak zusammenarbeiten. Allen Prognosen zum Trotz hatte Sadr mit einem ungewöhnlichen Wahlbündnis im Mai die meisten Stimmen auf sich vereint: Der Prediger, der nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 mit seiner Miliz gegen die neue sunnitische Regierung und die US-amerikanischen Besatzer kämpfte, ging eine Allianz mit säkularen Kommunisten ein und schlug den von den USA gestützten Premier al-Abadi und den Iran zuneigenden Ex-Premier Nuri al-Maliki.

In mehr als 1000 Wahllokalen wurden die Ergebnisse wegen Betrugsverdachts annulliert

So eindeutig, dass Sadrs Bündnis alleine hätte regieren können, fiel das Ergebnis allerdings nicht aus. Die Verhandlungen über eine mögliche Regierungskoalition drohten äußerst kompliziert zu werden - nicht nur, weil im Irak nach einem Proporzsystem sowohl Schiiten, Sunniten und Kurden jeweils mit gewissen Posten bedacht werden müssen, sondern weil bei politischen Verhandlungen in Bagdad der mächtige Nachbar Iran seine Interessen und seinen Einfluss mit großem Druck geltend zu machen weiß. Bei einer Wiederholung der Wahl würde Teheran nach einhelliger Meinung von Beobachtern wohl mit äußerster Kraft darauf hinarbeiten, dass seine Verbündeten diesmal besser abschneiden. Der Wahlsieger al-Sadr nämlich ist zwar wie die Iran regierenden Mullahs Schiit, inszenierte sich jedoch zuletzt als glühender Nationalist, der gegen jegliche Fremdbestimmung seines Landes kämpft.

Der amtierende Premier al-Abadi ordnete nun am Montag verschärfte Sicherheitsvorkehrungen rund um alle Lagerstätten von Abstimmungsunterlagen im ganzen Land an. Doch selbst wenn weitere Zwischenfälle vermieden werden können und noch einmal ausgezählt wird, dürfte der Wahl keine große Legitimität mehr zugeschrieben werden: Nur 45 Prozent der Stimmberechtigten gingen zu den Urnen, so wenige wie nie zuvor. Und die Ergebnisse von mehr als 1000 Wahllokalen wurden bereits wegen Betrugsverdachts annulliert.

© SZ vom 12.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: