Interview mit dem Leiter der Sicherheitskonferenz Horst Teltschik:"Es mangelt an strategischem Denken"

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Nach zehn Jahren verabschiedet sich Horst Teltschik als Veranstalter der Sicherheitskonferenz. Seinem Nachfolger rät er, den familiären Charakter der Konferenz zu wahren, aber dennoch alle wichtigen Spieler der im Umbruch begriffenen Weltordnung einzubeziehen.

Stefan Kornelius und Nicolas Richter

SZ: Herr Teltschik, 2008 sind Sie selbst ein Stück weit die Hauptperson der Sicherheitskonferenz, weil dies ihre letzte Tagung sein soll. Die Kanzlerin hat Sie gebeten, weiterzumachen. Lassen Sie sich erweichen?

Der Leiter der Sicherheitskonferenz Horst Teltschik (Foto: Foto: ddp)

Teltschik: Nach zehn Konferenzen soll ein neuer Verantwortlicher das ganze Projekt neu überdenken, Form und Inhalt, was man besser machen kann. Zehn Jahre sind ein guter Zeitpunkt zu gehen.

SZ: Wer soll das sein? Was muss er können?

Teltschik: Wer - das ist noch nicht entschieden. Aber er sollte schon große Konferenzen organisiert haben. Er muss politische und internationale Erfahrung mitbringen. Und er braucht gute Kontakte nach Washington. Die US-Delegation ist eine wesentliche Säule der Konferenz.

SZ: Wenn sich nun niemand findet?

Teltschik: Ich habe zugesagt, dass ich im ersten Jahr etwas zur Seite stehe. Aber Sie tun keinem Nachfolger einen Gefallen, wenn Sie sich einmischen.

SZ: Was muss die Konferenz künftig inhaltlich leisten?

Teltschik: Heute müssen alle wesentlichen Spieler der internationalen Politik einbezogen sein, auch und gerade die potentiellen Weltmächte wie China, Japan, Indien. Sie muss alle Konflikte aufgreifen, wo sie drohen oder im Gang sind, und sie muss Schwerpunkte setzen wie Naher und Mittlerer Osten, Iran, Irak, Pakistan.

Es war immer mein Bestreben, diese Konferenz über die Nato-Länder hinaus auszuweiten. Ich habe versucht, Konfliktparteien zur Konferenz zu bringen, um deren jeweilige Standpunkte bekanntzumachen und um die Möglichkeit für zweiseitige Gespräche am Rande der Konferenz zu ermöglichen. Wir haben im Durchschnitt 100 solcher vertraulicher Gespräche.

SZ: Wer nutzt die Chance?

Teltschik: In zehn Jahren sind Konfliktparteien zusammengekommen, die sich sonst nie getroffen hätten, ohne Protokoll, ohne Öffentlichkeit. Zum Beispiel die Inder und die Pakistani. Ich weiß, dass im vergangenen Jahr Gespräche zwischen US-Senatoren und Iranern stattgefunden haben, auch wenn sie das öffentlich bestreiten.

SZ: Ist die Konferenz zu groß geworden?

Teltschik: Der Vorteil ist gerade diese Dichte. Einerseits wird geklagt, dass man sehr eng sitze, andererseits wird das als Vorteil gesehen, weil man buchstäblich auf Tuchfühlung ist. Jede Überlegung, das zu ändern und ein größeres Hotel zu wählen, wird von den Teilnehmern letztlich abgelehnt.

SZ: Die Konferenz ist immer wieder angegriffen worden dafür, dass sie ein antiquiertes Sicherheitsbild transportiert.

Teltschik: Was wir machen, ist nicht antiquiert. Sicherheitspolitik habe ich immer im umfassenden Sinne verstanden. In Deutschland wird sehr wenig über internationale Politik diskutiert. Wir haben keine Diskussionskultur über diese Themen. Wir sind nicht gewohnt, global zu denken.

SZ: Woran liegt das?

Teltschik: Mit Außenpolitik lässt sich keine breite öffentliche Wirkung erzielen. Daraus entstehen dann Fehler, wie wir sie zur Zeit in unserer Diskussion über die Beziehungen zu China oder zu Russland sehen. Das scheint aber niemanden besonders zu bewegen.

Zweitens wird die Diskussion bei uns häufig von Nicht-Regierungsorganisationen bestimmt, deren Fachkompetenz ich oft in Zweifel ziehe. Sie wollen Realpolitik nicht wahrhaben, sondern verlieren sich in idealtypische Vorstellungen, angefangen von naiven Idealen des Pazifismus bis hin zu falschen Vorstellungen über die Durchsetzbarkeit von Menschenrechten.

Ich bin nicht gegen Menschenrechte, aber ich bin der Meinung, dass verantwortliche Politik immer an Durchsetzbarkeit denken und die eigenen Interessen des Landes im Auge haben muss. Wir haben zunehmend einen Mangel an Politikern, die strategisch denken können.

SZ: Kann man das lernen?

Teltschik: Ich glaube schon. Geschichte ist ja keine Abfolge historischer Daten. Also muss man Studenten strategische Zusammenhänge und Strukturen aufzeigen. Wir reden heute über Jugendgewalt, ganz zufällig, und dann reden wir morgen über was anderes, was auch zufällig im Fernsehen zu sehen war. Das ist alles punktuell. Das ist die Schwäche in unseren öffentlichen Debatten.

SZ: Putin hat es vorgemacht - ein Donnerschlag im vergangenen Jahr.

Teltschik: Ich habe dafür sogar ein Stück Sympathie. Erstens wissen wir längst, was seine Beschwernisse sind. Und zweitens will er wissen, wie die Partnerschaft aussehen soll zwischen Europa und Russland, der Nato und Russland, den USA und Russland.

Das sind Fragen, die seit 1991 nicht beantwortet sind. Bushs Vater hat damals eine neue Weltordnung eingefordert. Die hat sich jetzt selbständig entwickelt, ein unipolares System, es wird von vielen anderen in Frage gestellt, ohne dass man darüber diskutiert, wie ein neues System aussehen könnte. Jetzt spricht jeder von einem multipolaren System, ohne überhaupt zu hinterfragen, ob eine multipolare Welt eine sichere Welt ist.

SZ: Die Konferenz hätte zehn Jahre lang die Antwort geben können.

Teltschik: Die Konferenz hat eine Welt der wechselseitigen Abhängigkeiten aufgezeigt. Viele unserer innenpolitischen, gesellschaftspolitischen, internationalen Themen können wir nur noch multilateral lösen. Wir versuchen es jetzt im Bereich Klima. M

eine ideale Welt bestünde aus vielen globalen Interessenallianzen. Pole werden sich nicht verhindern lassen, aber für mich sind Pole eine Gefahr. Wir hatten sie im 18. und 19. Jahrhundert in Europa, die Bildung von Achsen, Allianzen gegen andere mit zwei Weltkriegen im Ergebnis.

SZ: Unter Bush lebte eine werteorientierte Außenpolitik auf mit moralischen Vorstellungen und demokratischen Idealen. Dürfen sich daran Freund und Feind entscheiden?

Teltschik: Nein, nicht ausschließlich. Die Frage ist: Was kann ich von den Partnern fordern? Es ist ein Unterschied, ob ich ein Land mit 80 Millionen regiere oder mit 1,3 Milliarden Menschen.

Außerdem kann ich meine Partner nicht aussuchen. Ich muss mit möglichst allen Ländern dieser Welt eine Basis der Kooperation haben. Man darf nie ein Geheimnis daraus machen, was man für richtig und für falsch hält, aber es gibt unterschiedliche geschichtliche Erfahrungen und kulturelle Werte. Die Chinesen haben ein anderes Verständnis vom Individuum und von Gemeinschaft als wir das haben.

SZ: Hat die Konferenz Außenpolitik beeinflusst?

Teltschik: Man würde die Konferenz überschätzen, wenn man behauptet, sie trägt substantiell zur Konfliktlösung bei. Aber sie leistet ihren Beitrag zu größerer Öffentlichkeit und Dialogfähigkeit.

SZ: Wenn man die Demonstranten vor dem Hotel betrachtet: offenbar sehr begrenzt.

Teltschik: Das ist Teil der außenpolitischen Schizophrenie, die sich dieses Land leistet. Nach China reisen jedes Jahr mehr als 250000 Deutsche. 14 Tage, alles ist spannend, was die alles essen, was da alles geschieht. Aber dann wird nicht über die Konsequenzen nachgedacht.

Sie kehren zurück, und das war's. Und vor dem Hotel beschimpfen Demonstranten uns als Kriegstreiber, während drinnen hochrangige Politiker aus Asien ihre Politik erklären. Aber sie wollen nicht zuhören. So funktioniert das nicht.

SZ: Was war denn in den vergangenen zehn Jahren der wichtigste Augenblick auf der Konferenz.

Teltschik: Es gab eine Vielzahl von spannenden Momenten. Da war natürlich die aufsehenerregende Rede von Präsident Putin, die Auftritte von Bundeskanzler Schröder und Merkel, von Kofi Annan, die Debatte zwischen Rumsfeld und Fischer. Hillary Clinton war großartig, oder John McCain mit seiner harten Kritik an Russland.

Enttäuscht bin ich immer über die mangelnde Diskussionsbereitschaft vieler der deutschen Teilnehmer. Die vergeben Chancen. Ich kann ja nur ein Angebot machen.

© SZ vom 08.02.2008/bavo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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