Interview:"Den großen Durchbruch sehe ich nicht"

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Helga Nowotny war bis 2002 Professorin für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich. Sie ist unter anderem Vizepräsidentin des European Research Council. (Foto: Wolf Dewitz/dpa)

Gespräch mit der neuen Kuratoriumsvizepräsidentin der Lindauer Tagung, Helga Nowotny, über Frauen in der Forschung, die Bedeutung der Technik und die veränderte Rolle der Wissenschaft.

Interview von Johanna Pfund

Helga Nowotny ist seit Januar 2015 Vizepräsidentin des Kuratoriums der Lindauer Nobelpreisträgertagung. Mit der Wissenschaft befasst sich die österreichische Wissenschaftsforscherin, die von 2010 bis 2013 Präsidentin des European Research Council war, seit Jahren. Kein Wunder, dass sie sich über die neue Aufgabe freut.

SZ: Wie kommt man ins Kuratorium?

Helga Nowotny: Man wird angefragt. Und so konnte ich mir überlegen, ob sich die Aufgaben mit meinen anderen Tätigkeiten vereinbaren lassen - und das passte sehr gut zusammen.

Welche Akzente möchten Sie setzen?

Ich konnte einige Male an der Feier anlässlich der Verleihung der Nobelpreise in Stockholm teilnehmen. Das ist jedes Jahr ein wahres Fest für die Wissenschaft. In den Lindauer Treffen sehe ich eine Verlängerung der Stockholmer Festivitäten unter reger Beteiligung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Ich möchte vor allem dazu beitragen, dass es begabten jungen Menschen, egal woher sie kommen, möglich ist, mitzumachen.

Welche Bedeutung hat die Lindauer Tagung in der Wissenschaftslandschaft? Gibt es Optimierungsbedarf?

Die Lindauer Tagung ist einmalig. Junge Menschen können aus nächster Nähe die Preisträger - und die Menschen, die sie sind - erleben. Ich habe renommierte Wissenschaftler getroffen, die mir versichert haben, wie bedeutsam Lindau für ihre wissenschaftliche Karriere war. Ein Optimierungsproblem gibt es insofern, als der Tag in Lindau auch nur 24 Stunden hat, und Zeit für informellen Austausch bleiben soll. Die Obergrenze ist erreicht.

Unter den 65 Preisträgern, die kommen, sind nur drei Frauen. Weshalb?

Die Nobelpreisträger, die heuer in Lindau sein werden, haben größtenteils in einer Zeit gearbeitet, in denen Frauen im Wissenschaftsbetrieb noch viel seltener waren als heute. Immerhin ging einer der Nobelpreise im vergangenen Jahr auch an eine Frau, und ich hoffe, dass das in Zukunft selbstverständlich wird. Wir alle kennen die Hindernisse, die Wissenschaftlerinnen zu bewältigen haben: Familie und Karriere zu vereinen; noch immer vorhandenen Vorurteilen und Formen von teils unbewusster Diskriminierung zu begegnen.

Wo sehen Sie unbewusste Diskriminierungen?

Das beginnt mit den Ausschreibungstexten, in denen etwa die Risikobereitschaft betont wird. Damit haben viele Frauen das Gefühl, das sei nichts für sie. Auch unbewusste Vorurteile spielen eine Rolle. Ein Mann, der bei einem Preisträger im Labor mitgearbeitet hat, gilt etwas. Bei einer Frau dagegen heißt es, sie hat bei dem Preisträger nur eine untergeordnete Rolle im Labor gespielt.

Bessert sich das?

Ja, langsam, aber man muss immer wieder darauf hinweisen.

Agieren die Frauen heute anders als noch vor einigen Jahren?

Es gibt Unterschiede zur jüngeren Generation. Es sind natürlich Probleme vorhanden, die sich nicht beseitigen lassen. Die Familiengründung findet meist im Alter zwischen 30 und 40 Jahren statt, wenn die Wissenschaftler Karriere machen. Mein Ratschlag an die Frauen lautet daher: Sucht euch den richtigen Partner aus, der euch unterstützt. Immer häufiger sind beide Partner in der Wissenschaft tätig. Es geht langsam voran. Aber den großen Durchbruch sehe ich nicht.

Welche Veränderungen sehen Sie in der Wissenschaft?

Die Veränderungen sind enorm. In den Lebenswissenschaften wird durch die Genomsequenzierung eine große Menge an Daten generiert, die das Ziel einer Präzisionsmedizin näher rücken lassen. Von großer Tragweite ist auch die rasch voranschreitende wissenschaftlich-technische Globalisierung. Selbst wenn Wissenschaftler in den USA und Europa im gleichen Ausmaß weiter publizieren, geht ihr Anteil am globalen Output zurück. Vor allem in Südostasien wird massiv in Forschung und Entwicklung investiert. Es entstehen neue Hotspots an wissenschaftlicher Produktivität.

Südostasien überrundet also Europa.

China ist in der Wissenschaft ein neuer Spieler, der kräftig mitmischen wird. Europa muss sich darum bemühen, die Förderung der Grundlagenforschung weiterhin zu halten. In Deutschland ist man sehr gut aufgestellt, während viele europäische Länder wie Spanien oder Portugal oder Italien ihre Forschungsinvestitionen massiv zurückgefahren haben. In Süd- und Südosteuropa muss es wieder nach oben gehen. Das Ungleichgewicht ist nie gut.

Welche Bedeutung hat die Wissenschaft für die Gesellschaft?

Für die Gesellschaft gilt mehr denn je, dass Wissenschaft und Technik unser Leben durchdringen und mitgestalten. Zunehmend wird daher die Beteiligung der Bürger gefordert. Das reicht von der aktiven Beteiligung an Forschungsprojekten, etwa indem man eigene genomische Daten zur Verfügung stellt, bis hin zu Fragen, wie man die Gesellschaft in demokratischer Weise stärker mit laufender Forschung vertraut machen und sie einbinden kann.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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