Indonesien:Moloch am Meer

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Weil Jakarta zu versinken droht, sucht der Inselstaat eine neue Hauptstadt.

Von Arne Perras

Hauptstadt eines asiatischen Inselstaates mit sieben Buchstaben? Genau, Jakarta. Das passt, aber wer weiß, wie lange noch? Vielleicht müssen die Kreuzworträtsel bald umgeschrieben werden. Indonesiens Regierung scheint entschlossen zu sein, den Sitz der Hauptstadt zu verlegen, wie der Planungsminister erklärt hat. Bis Ende Dezember sollte er eine Machbarkeitsstudie für einen Mega-Umzug vorlegen. Und so warten 250 Millionen Indonesier zum Jahresbeginn gespannt darauf, welcher Ort das Rennen machen wird.

Neue Hauptstädte haben Staaten immer wieder geschaffen, um sich scheinbar unauflösbarer Probleme durch einen Neustart zu entledigen. Brasilia und Abuja sind Beispiele für solche eher sterilen urbanen Kunstprodukte; wenige allerdings wirken so bizarr wie Naypyidaw in Myanmar, wo auf 22-spurigen Autobahnen zwar kaum Autos fahren, aber jederzeit ein Jumbo landen könnte.

Und Indonesien? Noch macht es Präsident Joko Widodo, genannt Jokowi, spannend. Die Debatte ist schon alt, bereits Staatsgründer Sukarno spielte mit dem Gedanken, die Hauptstadt im Inselreich zu verlegen, weg vom dicht besiedelten und politisch dominanten Java. Die Pläne versandeten, doch nun ist eine große Dringlichkeit erkennbar: Denn der Moloch Jakarta droht zu versinken.

Wenn Ingenieure versuchen, das Phänomen zu erklären, greifen sie zum Vergleich mit dem Joghurt: Entzieht man der Masse Flüssigkeit, schrumpft sie und wird instabil. So ähnlich ist das jetzt auch mit dem Erdreich unter dem Großraum Jakarta. Seit Jahrzehnten pumpen die Menschen dort Wasser aus Brunnen an die Oberfläche. Und so senkt sich die Stadt unter der Betonlast immer tiefer. Schon jetzt liegen 40 Prozent der Metropole unter dem Meeresspiegel. Weil nun auch noch die Risiken des Klimawandels hinzukommen, muss sich Jakarta auf stärkere Sturmfluten und einen steigenden Meeresspiegel einstellen. Alles zusammen ergibt eine düstere Prognose.

Planungen für eine riesige Mauer im Meer, die als Schutzwall dienen könnte, sind umstritten und kommen nur schleppend voran. Doch das ist noch nicht alles. Tag für Tag erlebt der Großraum mit 30 Millionen Menschen einen Verkehrsinfarkt. Der Staat hat es nie geschafft, ein halbwegs funktionierendes öffentliches Verkehrssystem mit U-Bahnen oder S-Bahnen aufzubauen. Pfeiler einer Hochbahn, die nie fertig wurde, durchziehen wie Mahnmale die Straßen von Jakarta. Da klingt der Gedanke an einen Umzug wie ein kühner Befreiungsschlag. Nur wohin Widodo die Regierung verlegen will, hat er bisher nicht verraten. So wird wild spekuliert, es kursieren Namen wie Palangkaraya auf der Insel Borneo. Aber auch Standorte auf Sumatra oder Sulawesi tauchen auf. Sicher scheint nur zu sein, dass der Präsident einen Standort anpeilt, der jenseits der Insel Java liegt.

Noch zweifeln manche Indonesier, ob ihr Präsident den Großumzug wagt; unter Bürokraten und Unternehmern, die sich ein Leben jenseits von Jakarta schwer vorstellen können, regt sich Widerstand. So oder so bleibt nicht viel Zeit, um Millionen Menschen in Jakarta vor der Gefahr neuer Fluten zu schützen. Die Metropole muss sich wappnen, soll sie überhaupt noch eine Zukunft haben.

© SZ vom 02.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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