Hongkong:Durst nach Demokratie

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"Sie haben nicht die Erlaubnis zu wählen", heißt es auf diesem Wandbild in Hongkongs Admiralty-Bezirk, wo sich 2014 der Protest gegen Pekings Restriktionen sammelte. (Foto: Athit Perawongmetha/Reuters)

Seit der mutigen Regenschirmrebellion strebt die einstige britische Kronkolonie nach Autonomie, doch der Einfluss Chinas bleibt ungebrochen. Nun wird erstmals seit der Protestwelle ein neuer Regierungschef gewählt.

Von Kai Strittmatter, Hongkong

Wenn 7,3 Millionen Menschen einen neuen Regierungschef bekommen und nur 1194 von ihnen wählen dürfen, kann man das dann überhaupt eine Wahl nennen? Viele Hongkonger finden: Nicht wirklich. Als im Juni 2014 eine Gruppe Aktivisten um den Juraprofessor Benny Tai auf eigene Faust ein unverbindliches Referendum organisierte, in dem sie den Bürgern Hongkongs Vorschläge vorlegten für eine Reform der undemokratischen Wahl, da erwarteten sie für ihre Protestaktion einen Achtungserfolg, mehr nicht. Was dann kam, überwältigte sie: Am Ende hatten 800 000 Menschen teilgenommen. Ihr Referendum war der Auftakt zu einer Saison des Protestes - wenige Wochen später besetzten Hunderttausende die Straßen der Stadt. Die Hongkonger überraschten die Welt mit ihrer "Regenschirmrebellion". Gebt uns freie und allgemeine Wahlen, forderten sie.

Die Wahl ist noch ein paar Tage entfernt, doch das Ergebnis scheint schon festzustehen

Bald drei Jahre ist das her, eine lange Zeit. Am Sonntag wird zum ersten Mal seit der Regenschirmbewegung ein neuer Regierungschef gewählt. Und nichts hat sich geändert: Wählen dürfen erneut nur die knapp 1200 Mitglieder eines Wahlausschusses, der bewusst so konstruiert ist, dass die Pekingfreunde automatisch die große Mehrheit stellen. Und wieder organisierten Benny Tai und seine Mitstreiter ihr eigenes Referendum, diesmal ließen sie die Bürger über die drei Kandidaten abstimmen: Die Hongkonger sollten ihre Stimme wenigstens inoffiziell abgeben dürfen, wenn Peking sie schon nicht an die Wahlurne lässt. Diesmal hofften die Organisatoren auf eine Million Teilnehmer - es waren am Ende gerade mal 65 000. "Die Menschen fühlen sich wohl machtlos", sagte einer der enttäuschten Organisatoren.

Ohnmacht, Frust, Zorn - der Mix der Gefühle, der viele Hongkonger zuletzt umtrieb, ist oft beschrieben worden. Sie sehen ihre Stadt mehr und mehr um die einst von Peking gegebenen Versprechen der Autonomie und Freiheit betrogen. Sie beklagen unfähige Regierungschefs von Pekings Gnaden und wachsende soziale Ungleichheit. Vor allem sehen sie eine immer unverfrorenere Einmischung Pekings in die Angelegenheiten ihrer Stadt. Wer auch immer am Sonntag das Rennen macht: Um die Spaltung der Stadt nicht noch zu verschärfen, bräuchte der Sieger wenigstens den Anschein einer Legitimierung bei der Bürgerschaft. Danach sieht es allerdings nicht aus.

"Der Kampf ist nicht vorüber", sagte Joshua Wong, das Gesicht der Regenschirmbewegung 2014

Die Wahl ist noch ein paar Tage entfernt und dennoch scheint der Ausgang schon festzustehen: Die 59-jährige Carrie Lam, bislang Verwaltungschefin der Stadt, hat nach Ansicht vieler die Wahl schon in der Tasche. Aus einem einzigen Grund: Sie ist die Kandidatin Chinas. Das haben Vertreter der Kommunistischen Partei in Peking Hongkonger Abgesandten mehrmals so deutlich zu verstehen gegeben, dass Carrie Lam schon bei der Nominierungsrunde bis zum 1. März 580 Stimmen eingesammelt hatte - mehr als dreimal so viel wie ihr wichtigster Rivale, John Tsang, bis vor Kurzem noch Hongkongs Finanzminister. Das ist in den Augen vieler deshalb mindestens unglücklich, weil Carrie Lam in allen Umfragen weit abgeschlagen hinter John Tsang liegt. Eine Befragung der Universität Hongkong sah Tsang zuletzt 17 Prozent vor Lam in der Gunst der Hongkonger. Hongkong unter Carrie Lam? "Nicht unbedingt die Apokalypse, aber schlimm genug", titelte diese Woche das liberale Online-Portal "Hongkong Free Press" und prophezeite Lam einen "Pyrrhussieg".

Natürlich hat Peking schon auf die Auswahl der Kandidaten ein Auge: Sympathisanten der Studentenbewegung von 2014 etwa werden im Vorfeld ausgesiebt. Und dennoch hat es John Tsang geschafft, mit einem Bekenntnis zu Reformen und Referenzen an seine Studienzeit im Amerika der Hippie-Jahre auch das Wohlwollen des moderaten demokratischen Lagers für sich zu gewinnen. Er war zwar selbst Teil der Regierung, ging aber zuletzt deutlich auf Distanz: "Wir sind selbst teilweise verantwortlich für das Misstrauen gegenüber unserer Regierung", sagte er. Carrie Lam dagegen hatte einst einen Ruf als fähige Beamtin und war eine Zeit lang die populärste Ministerin gewesen.

Als treue Handlangerin ihres unpopulären Regierungschefs und Exekutorin undemokratischer Vorgaben aus China verspielte sie sich jedoch das Vertrauen vieler Hongkonger, die sich zuletzt entsetzten über die Entführung Hongkonger Buchhändler oder des Milliardärs Xiao Jianhua durch Chinas Agenten. Dafür gewann Lam bei der KP in Peking. Ein Sieg Lams am Sonntag, prophezeien manche, werde den Radikaleren unter den Oppositionellen neuen Auftrieb geben. "Der Kampf ist nicht vorüber", sagte diese Woche Joshua Wong, als Schüler das Gesicht der Bewegung von 2014.

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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