Hass auf Homosexuelle:Gefährliche Reinheitsphantasien

Der Hass auf Homosexuelle nimmt in vielen Ländern der Welt beängstigend zu. Verfolgung und Ausgrenzung gehört für viele Schwule und Lesben zum Alltag. Es ist ein Kulturkampf, in dem Homosexuelle von vornherein angezählt sind.

Tim Neshitov

Wenn ein Abgeordneter des Sankt Petersburger Stadtparlaments vorschlägt, eine "Sittenpolizei" einzuführen, muss man sich Sorgen machen. Nicht weil "Sittenpolizei" an Saudi-Arabien oder Iran denken lässt - von einer religiösen Diktatur ist Russland weit entfernt. Der Vorschlag von Vitalij Milonow beschwört vielmehr ein dunkles Kapitel in Russlands eigener Geschichte herauf. Milonow, ein ehemals demokratisch gesinnter Opportunist, der nun für die Kremlpartei Einiges Russland legislativen Eifer demonstriert, will Freiwilligentrupps zur Jagd auf Schwule und Lesben zusammentrommeln.

Anti-Homosexuellen-Protest in der serbischen Haupstadt Belgrad im Jaher 2010

Anti-Homosexuellen-Protest in der serbischen Haupstadt Belgrad im Jaher 2010

(Foto: REUTERS)

Er setzt auf Kosaken, die Nachfahren jener Wehrbauern, die im zaristischen Russland die Grenzen des Reichs verteidigten und im Landesinneren zur Niederschlagung von Protestmärschen eingesetzt wurden. Heute sind die Reiterverbände vor allem damit beschäftigt, ihre folkloristischen Gesangs- und Säbeltraditionen zu pflegen. Aber Kosaken-Hundertschaften, die hoch zu Ross oder zu Fuß, Hauptsache zum Ruhme des Vaterlandes, ihre Peitschen gegen Andersdenkende schwingen, bleiben eine Chiffre für zügellosen Chauvinismus.

Die Kosaken sollen helfen, das "Gesetz gegen Schwulenpropaganda" umzusetzen, das im Petersburger Stadtparlament diese Woche in zweiter und vorletzter Lesung verabschiedet wurde. Die Abgeordneten haben zwar nicht definiert, was genau als "Schwulenpropaganda" gelten soll, aber sie haben bereits Geldstrafen von bis zu 500.000 Rubel (12.800 Euro) festgelegt.

Ihre Initiative begründen Milonow und Co. mit einem ebenfalls nicht näher definierten "Kinderschutz". Petersburgs ehemalige Bürgermeisterin Walentina Matwijenko, die neuerdings der oberen Kammer des föderalen Parlaments in Moskau vorsteht, möchte das Gesetz auf das ganze Land ausdehnen.

Damit avancieren Homosexuelle - neben Juden und "Kaukasiern" - endgültig zu einer Minderheit, die hauptsächlich einem Zweck dient: der Abgrenzung jenes schwammigen Gebildes, das populistische Machthaber "die russische Seele" nennen. Im Gange ist nicht eine Diskussion über Menschenrechte, sondern ein Kulturkampf, in dem Lesben und Schwule von vornherein angezählt sind. Der legislativen Mehrheit gilt Homosexualität als "eine unrussische Krankheit", als eine Sünde oder beides.

Auch in den USA flackert der schwelende Brand wieder auf

Menschenrechte versus vermeintlich kulturelle Identität: Auf dieser Ebene wird die Debatte nicht nur in Russland ausgefochten. Diese Woche ist auch in den USA, mitten im republikanischen Wahlmarathon, der schwelende Brand wieder aufgeflackert. Ein kalifornisches Gericht hat das Heiratsverbot für Schwule und Lesben gekippt; die Mehrheit der Kalifornier hatte sich per Referendum gegen die Homo-Ehe ausgesprochen.

Republikanische Hoffnungsträger nehmen das Gerichtsurteil nun zum Anlass, ihr ideologisches Revier frisch zu markieren. Rick Santorum, der Gewinner der jüngsten drei Vorwahlen seiner Partei für die Präsidentschaftskandidatur, nannte die Entscheidung "ein weiteres radikales Urteil eines Schurkengerichts". Newt Gingrich, ehemals Chef des Repräsentantenhauses, sprach von einer "fortlaufenden Attacke auf das jüdisch-christliche Fundament der USA".

Auch im Land der Freien und der Heimat der Tapferen geht es der homophoben Elite um nicht weniger als die zivilisatorischen Wurzeln ihres Landes. Die US-Zivilisation reicht zwar nicht einmal drei Jahrhunderte zurück, aber immerhin weiter als 1948, das Jahr, in dem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet wurde. Die besagt, dass niemand aufgrund seiner Sexualität diskriminiert werden darf.

Die Homo-Ehe ist bisher nur in sechs US-Bundesstaaten und in Washington D.C. erlaubt, sowie ohne offiziellen Trauschein in Maryland. Trotzdem haben es die meisten Schwulen und Lesben in Amerika vermutlich leichter als die Homosexuellen in Russland, wo Gay-Paraden meistens verboten respektive zusammengeschlagen werden. Aber alle haben sie es leichter als die Schwulen und Lesben in Afrika. Die müssen sich nicht nur gegen zahlreiche Zivilisationshüter wehren, sondern stehen auch im Verdacht, die fünfte Kolonne des Westens zu sein, der es auf die Reinheit der afrikanischen Kulturen abgesehen hat.

Am Schwersten haben es Homosexuelle in Afrika

Es dürfte kein Zufall sein, dass Ugandas Parlament ausgerechnet in diesen Tagen sein umstrittenes Anti-Schwulen-Gesetz wieder aufwärmt. Ein Entwurf, der gleichgeschlechtlichen Sex im Extremfall mit der Todesstrafe bedrohte, war im vergangenen Jahr ad acta gelegt worden, nachdem viele Geberländer mit der Streichung der Entwicklungshilfe gedroht hatten. Nun sollen die Abgeordneten über einen neuen Entwurf beraten, der zwar die Todesstrafe nicht mehr enthält, aber sonst die Schrauben anzieht. Die Volksvertreter hatten zuletzt reichlich Gelegenheit, sich provoziert zu fühlen.

Ende Oktober verkündete der britische Premier David Cameron auf einem Commonwealth-Gipfel, seine Regierung würde ihre Hilfe nur an die Staaten fortsetzen, die "ordentlich die Menschenrechte achten". Ugandas Präsident Yoweri Museveni verbat sich Camerons "exkoloniale Mentalität". Homosexualität sei "eine negative ausländische Kultur". Im Dezember musste Hillary Clinton bei einem Auftritt in Genf zusehen, wie mehrere afrikanische UN-Botschafter den Saal verließen, als sie sagte, Homosexualität sei "keine Erfindung des Westens, sondern menschliche Realität".

Ein Berater des ugandischen Staatschefs fasste sich kurz: "Wir haben unsere Religionen, Bräuche und Traditionen seit Menschengedenken. Wenn die Amerikaner glauben, sie können uns sagen, was wir zu tun haben, können sie zur Hölle gehen." Zu guter Letzt redete UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den starken Männern ins Gewissen, auf dem Gipfel der Afrikanischen Union in Addis Abeba.

Das einzige afrikanische Land, dessen Gesetze Homosexuelle schützen, ist Südafrika - aber auch dort bleibt der Schutz überwiegend auf dem Papier. Lesben werden systematisch vergewaltigt, ihre Peiniger nennen das "correctional rape". Diese Männer landen selten auf der Anklagebank. Wenn doch, werden sie zwar zu exemplarisch hohen Haftstrafen verurteilt, aber die einzelnen Prozesse scheinen die zahlreichen Nachahmer kaum abzuschrecken. Im religiös gespaltenen Nigeria gilt der Hass auf Homosexuelle als eines der wenigen Gefühle, das Muslime und Christen eint. Und ja, sogar Liberias Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf, Friedensnobelpreisträgerin 2011, Harvard-Absolventin, die einzige Frau an der Spitze eines afrikanischen Staates - auch Ma Ellen hat kürzlich klargestellt, sie werde niemals die Homo-Ehe legalisieren.

Es ist fraglich, ob die Zuckerpeitsche Entwicklungshilfe dazu geeignet ist, Afrikaner von etwas zu überzeugen, was auch im Westen keine Selbstverständlichkeit ist. Interessant ist jedenfalls ein Blick in die gemeinsame Geschichte. Die Schwulen-Aversion vieler Afrikaner hat weniger mit traditionellen Kulturen zu tun und mehr mit dem kolonialen Erbe.

"Ich glaube und ich hoffe, dass die Neger (. . .) vor dieser moralischen Seuche gefeit sind", schrieb 1781 der britische Historiker Edward Gibbon in seiner "Geschichte des Verfalls und Untergangs des Römischen Reiches". Damit legte er die Grundlage für ein idealisiertes Bild von Afrika, in dem "der primitive Mensch" ausschließlich von "natürlichen", sprich heterosexuellen Instinkten geleitet werde. Der ferne Kontinent wurde zur Projektionsfläche für jenes Reine und Unverdorbene, das in Europa als verlorengegangen galt.

Einige Jahrhunderte davor hatte dasselbe Afrika bereits einem anderen Zweck gedient. Der Europäer blickte nach Afrika und vergewisserte sich der eigenen moralischen Überlegenheit. Wenn eine bayerische "Prinzessin" heute sagt: "Der Schwarze schnackselt gerne", wiederholt sie sinngemäß das, was katholische Missionare im 16. und 17. Jahrhundert nach Hause schrieben.

Anfang des 20. Jahrhunderts musste Afrika als Beweismaterial für die europäische Debatte über die medizinisch-psychischen Hintergründe von Homosexualität herhalten. Deutsche Forscher wie Günther Tessmann und Kurt Falk versuchten mit ihren Afrika-Studien, den Paragraphen 175 des Reichsstrafgesetzbuches zu kippen, das von 1872 bis 1994 Sex unter Männern unter Strafe stellte. "Wer angeborene Homosexualität in Frage stellt", schrieb Falk, "sollte einen Blick auf die Ureinwohner werfen, und er wird bald seine Meinung ändern."

Gesetze, die in Afrika Homosexualität kriminalisieren, wurden ursprünglich von Kolonialverwaltungen eingeführt. "Die Kolonisatoren brachten nicht die Homosexualität nach Afrika, sondern deren Ächtung - und Systeme von Aufsicht und Regulierung, um sie zu unterdrücken", schreiben die US-Forscher Will Roscoe und Stephen O. Murray in "Boy-Wives and Female-Husbands: Studies in African Homosexualities", einem Buch aus dem Jahr 1998. "Erst als die Einheimischen vergaßen, dass gleichgeschlechtliche Muster einst Teil ihrer Kultur waren, wurde Homosexualität wirklich stigmatisiert."

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