Hartz-IV-Reform:Der "Zirkus" ist zu Ende

Es war eine schwere Geburt: Neun Wochen haben Regierung und Opposition gestritten und verhandelt. Jetzt steht der Hartz-IV-Kompromiss. Die Änderungen im Überblick.

Thomas Öchsner

Der "Zirkus", wie es CSU-Chef Horst Seehofer nannte, ist zu Ende. Neun Wochen haben Regierung und Opposition gestritten und verhandelt. Jetzt steht der Hartz-IV-Kompromiss. Die Einzelheiten im Überblick:

Bund-Länder-Runde zu Hartz-IV

Haltung bewahren und lächeln - das war die Devise in der Nacht zum Montag, als sich die politischen Kontrahentinnen Manuela Schwesig (SPD, links) und Ursula von der Leyen (CDU) trennten. Das Ergebnis der Verhandlungen war ein politischer Kraftakt.

(Foto: dpa)

Was ändert sich beim Regelsatz?

4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Empfänger bekommen bald einen Nachschlag. Das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) steigt rückwirkend vom 1. Januar an - um fünf Euro im Monat auf 364 Euro. Diese Auszahlung kann aber technisch erst zum 1. April erfolgen. Insgesamt gibt es dann für die ersten vier Monate des Jahres 20 Euro mehr.

Wann kommt die nächste Erhöhung?

Diese gibt es, wie vorgesehen, Anfang 2012, aber in doppelter Form. Der Regelsatz erhöht sich in jedem Fall um drei Euro, damit wird die Lohn- und Preisentwicklung im ersten Halbjahr 2010 berücksichtigt. Zusätzlich steht die reguläre jährliche Anpassung der Leistung an. Diese orientiert sich an der Entwicklung von Inflation und Löhnen, und zwar im Verhältnis 70 zu 30. Datenbasis dafür ist der Zeitraum vom 1. Juli 2010 bis 30. Juni 2011. Wie hoch der Regelsatz dann insgesamt steigen wird, ist noch offen.

Welche Kinder profitieren vom Bildungs- und Teilhabepaket?

Der Staat hilft künftig etwa 2,5 Millionen bedürftigen Kinder und Jugendlichen von Geringverdienern, die Hartz IV, den Kinderzuschlag oder Wohngeld erhalten. Die Opposition hat so dafür gesorgt, dass der Kreis der Empfänger erweitert wird. Zu den neuen Leistungen zählen Zuschüsse für ein Mittagessen in der Schule oder in einer Kindertagesstätte in Höhe von bis zu zwei Euro. Einen Euro müssen die Eltern selbst zahlen. Für eintägige Wandertage gibt es 30 Euro pro Schuljahr. Bei Bedarf werden Nachhilfestunden gezahlt. Auch gibt es zehn Euro monatlich für die Teilnahme am Vereinsleben. Die 100 Euro jährlich für Schulsachen, die der Staat bereits bisher gewährt hat, sind in dem Paket enthalten. Die Regelsätze für Kinder und Jugendliche bleiben unverändert. Sie betragen für unter Sechsjährige 215, für Sechs- bis Dreizehnjährige 251 und für 14- bis 18-Jährige 287 Euro monatlich.

Welche Verbesserungen gibt es noch?

Das Bildungspaket wird auf Druck der SPD für zunächst drei Jahre bis 2013 um 120 Millionen auf 400 Millionen Euro aufgestockt. Davon sollen die Kommunen Sozialarbeiter in den Schulen bezahlen und einen Zuschuss geben für das Mittagessen in Horten.

Wo gibt es Mindestlöhne?

Wovon profitieren Hartz-IV-Empfänger, die ehrenamtlich tätig sind?

Anders als zunächst von der Regierungskoalition vorgesehen, dürfen sie ihre Aufwandsentschädigung bis zu einer Höhe von 175 Euro pro Monat behalten. Das entspricht dem monatlichen Steuerfreibetrag ("Übungsleiterpauschale"), die für normale Steuerzahler gilt.

Bleibt es bei Kürzungen für Behinderte? Die Regierung wollte die Leistungen für Behinderte, die weiter bei ihren Eltern leben, auf 80 Prozent kürzen. Dies wird nun überprüft. Das Ziel: Sie sollen weiter den vollen Satz bekommen.

In welchen Branchen werden Mindestlöhne eingeführt?

Von Mai 2011 an wird es in der Zeitarbeit, im Wach- und Sicherheitsgewerbe und in der Weiterbildungsbranche für insgesamt etwa 1,2 Millionen Menschen drei neue Mindestlöhne geben. Allein 900000 der 1,2 Millionen sind im Moment Leiharbeiter, für die im Westen derzeit tariflich bereits eine Untergrenze von 7,59 Euro gilt. An den Mindestlohn müssen sich auch ausländische Anbieter aus den neuen osteuropäischen EU-Beitrittsstaaten halten, die von Mai an in Deutschland tätig werden können. Er soll auch dann gelten, wenn der Betrieb, der sie von der Verleihfirma ausgeliehen hat, sonst niedrigere Löhne zahlt. Die gleiche Entlohnung von Stammbeschäftigten und Leiharbeitern konnte die SPD nicht durchsetzen.

Wie wird das Paket finanziert?

Anders als ursprünglich geplant, sollen nicht die Jobcenter, sondern die Kommunen das Bildungspaket in die Praxis umsetzen. Der Bund erhöht deshalb seinen Anteil an den Miet- und Heizkosten für Hartz-IV-Empfänger um 1,2 Milliarden Euro jährlich auf ein Drittel der Gesamtausgaben für die sogenannten Kosten der Unterkunft. Hinzu kommen die 400 Millionen für das verbesserte Bildungspaket. Um eine Unterfinanzierung der Kommunen zu vermeiden, sollen die tatsächlichen Kosten jährlich abgerechnet und vollständig erstattet werden. Der Bund übernimmt außerdem vollständig die Ausgaben für alte Menschen, die wegen ihrer geringen Rente von der staatlichen Grundsicherung leben müssen. 3,5 Milliarden Euro geben die Kommunen dafür jährlich aus, wegen der zunehmenden Altersarmut mit steigender Tendenz.

Wer ist der Zahlmeister der Reform?

Der Bund soll künftig nur noch den Gegenwert eines halben Mehrwertsteuerpunktes an die Bundesagentur für Arbeit (BA) zahlen. Damit wird die Grundsicherung im Alter finanziert, die der Bund von den Kommunen übernimmt. Die BA rechnet deshalb bis 2014 mit 9,6 Milliarden Euro Schulden - und nicht mehr mit Überschüssen. Wie das Geld eingespart werden soll, ist noch offen. Möglich wäre auch, die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung zu erhöhen.

Wie verfassungsfest ist der Kompromiss?

Wirklich weiß das niemand. Sicher ist: Es wird zu neuen Klagen beim Bundesverfassungsgericht kommen, das eine Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze gefordert hatte. Der stellvertretende Fraktionschef der Grünen, Fritz Kuhn, sagt: "Wir sehen uns wieder in Karlsruhe."

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