Hans-Jochen Vogel prägte als Münchner Oberbürgermeister, Bundesminister und SPD-Chef die deutsche Nachkriegsgeschichte mit. Genscher erlebte der Sozialdemokrat sowohl als politischen Gegner, als auch als Kabinettskollegen.
"Wir haben beide dem letzten Kabinett Brandt angehört, Genscher als Innenminister und ich als Minister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. 1974, unter Schmidt, wechselte er ins Auswärtige Amt und ich ins Justizministerium.
Als Innenminister reagierte Genscher mit beweglicher Entschlossenheit und unter Einhaltung rechtstaatlicher Regeln auf Herausforderungen wie dem aufkommenden Terror der RAF. Als Law-and-Order-Mann habe ich ihn nicht in Erinnerung, aber als jemand, der sich klar dafür aussprach, die Schutzfähigkeit des Staates zu erhalten.
Er verhielt sich immer als Kollege und nie als Chef
Auf der anderen Seite hatte er liberale und auch soziale Gesichtspunkte stets vor Augen. Damals hatte die FDP ja gerade die Freiburger Thesen verabschiedet, die beides gut miteinander verbanden.
Genscher als Innenminister arbeitete ohne ernsthafte Konflikte mit dem seinerzeitigen SPD-Justizminister Jahn zusammen - kein Vergleich zum Klima in der aktuellen Koalition. Der Stil innerhalb der Regierung war eben anders als heute. Genschers Humor im Kabinett zeigte sich eher beiläufig, als scharf pointiert - das tat der Stimmung keinen Abbruch.
Als Außenminister verfügte Genscher über sehr spezielle Kenntnisse und über besondere Kontakte in alle Himmelsrichtungen. Zu den engsten Ansprechpartnern gehörte für ihn wohl Henry Kissinger. Im Kabinett verhielt er sich immer als Kollege und nie als Chef- das hätte in Anwesenheit von Helmut Schmidt auch nicht recht funktioniert.
Hans-Dietrich Genscher in Bildern:Chefdiplomat der Einheit
"Übervater der Liberalen" und "Dauerläufer" im Außenamt: Hans-Dietrich Genscher trug viele Titel. Bilder eines Mannes, der die Bundesrepublik jahrzehntelang prägte.
Als die sozialliberale Koalition 1982 zerbrach, habe ich Genschers Rolle kritisch gesehen. Aber fairerweise muss ich einräumen, dass für das Ende von Rot-Gelb auch die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der SPD über die Nachrüstung eine wichtige Rolle gespielt haben. Genscher bewältigte die Erschütterungen innerhalb der FDP, die mit dem Koalitionswechsel einhergingen, mit einer für ihn typischen Geschicklichkeit.
Er hat aber auch in der Koalition mit der Union die Ostpolitik Willy Brandts bis zur deutschen Einheit verteidigt und fortgeführt, mitunter gegen Widerstände von Helmut Kohl. Dafür gebührt ihm Lob und Anerkennung. Als Fraktionschef der SPD konnte ich deshalb auf diesem Gebiet niemandem in der schwarz-gelben Koalition so oft zustimmen wie ihm.
Scharf und offensiv formulierte Genscher selten. In aller Regel hat er eine Sprache gepflogen, die selbst bei Meinungsverschiedenheiten eine gewisse Beweglichkeit und Verbindlichkeit einschloss. Das bedeutet nicht, dass er in einer Sache, die er vertreten hat, schwankte. Aber die Art, wie er seine Position darstellte und sich mit anderen auseinandersetzte, war in der damaligen Politik allgemein nicht üblich. Da brauche ich nur an Ton und Wortwahl denken, die Leute wie Franz Josef Strauß pflegten.
Nachdem Genscher 1992 aus dem Amt geschieden war, sind wir in Kontakt blieben. Gelegentlich schreiben wir uns - nicht nur zu runden Geburtstagen. Außerdem hat er liebenswürdigerweise das Buch meines Bruders Bernhard und mir "Deutschland aus der Vogel-Perspektive" präsentiert. Dabei zeigte sich der Genscher'sche Humor: Er gratulierte er uns und dem Verlag, dass wir Vogel und nicht Frosch heißen."