Handel:Israel wirft Europa Heuchelei vor

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Waren aus jüdischen Siedlungen sollen künftig gekennzeichnet werden. Jerusalem spricht von einem "extremen Schritt" und wirft Brüssel vor, einen Boykott israelischer Waren zu ermöglichen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Im Streit über die Siedlungen in den besetzten Gebieten erhöht die Europäische Union ihren Druck auf Israel. Die EU-Kommission beschloss am Mittwoch eine Kennzeichnung von Waren aus den Siedlungen, die in den EU-Staaten einheitlich zu handhaben ist. Die Regierung in Jerusalem reagierte empört. "Wir bedauern, dass die Europäische Union aus politischen Beweggründen so einen extremen und diskriminierenden Schritt unternimmt, der einem Boykott ähnelt", sagte ein Sprecher des Außenministeriums.

Der EU-Botschafter in Tel Aviv, Lars Faaborg-Andersen, wurde am Mittwochabend dort einbestellt. Es sei ihm mitgeteilt worden, dass Israel die Gespräche mit der EU in "verschiedenen Foren", "die in den kommenden Wochen stattfinden sollten", auf Eis lege. Vize-EU-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis widersprach dem Boykottvorwurf. "Die EU unterstützt keine Art von Boykott oder Sanktionen gegen Israel", sagte er. Die Kommission stellte ihren Beschluss als "rein technische" Maßnahme dar. Der am Mittwoch beschlossene fünfseitige "Interpretationsvermerk" solle lediglich die einheitliche Anwendung geltender Bestimmungen in allen 28 Mitgliedstaaten sicherstellen. Großbritannien, Belgien und Dänemark haben bereits eigene Richtlinien zur Kennzeichnung von Waren aus Siedlungen in den besetzten Gebieten in Kraft gesetzt. 16 EU-Außenminister hatten im April bei der Außenbeauftragten Federica Mogherini Schritte zur EU-weiten Kennzeichnung der Siedlerprodukte angemahnt.

Dahinter steht die Frustration vieler EU-Regierungen über die unbeirrte israelische Siedlungspolitik.

Die Entscheidung ist zwar von hoher Symbolkraft, wirtschaftlich aber so gut wie irrelevant. Betroffen ist nach Angaben der EU-Kommission weniger als ein Prozent des jährlich 30 Milliarden Euro schweren Handels zwischen Israel und der EU. Die besondere Kennzeichnungspflicht gilt für landwirtschaftliche Produkte und Kosmetika aus Siedlungen außerhalb der völkerrechtlich anerkannten Grenzen Israels, also aus dem Westjordanland, Ost-Jerusalem und den Golanhöhen. Aus der Kennzeichnung muss klar hervorgehen, dass die Waren aus Siedlungen stammen. Die Herkunftsbezeichnung "West Bank" (Westjordanland) genügt nicht.

Offiziell argumentiert die EU mit dem Verbraucherschutz. Nach EU-Gesetzgebung müssen Herkunftshinweise zutreffend sein. Da die Siedungen völkerrechtlich nicht zu Israel gehörten, sei die Bezeichnung "Made in Israel" unrichtig. Schon seit 2004 sind Siedlerprodukte ausgenommen von der Vorzugsbehandlung, die sich aus dem Assoziierungsabkommen der EU mit Israel ergibt. "Die Europäische Union sollte sich schämen", sagte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Ihre Entscheidung beweise "Heuchelei und Doppelmoral", weil sie sich nur auf Israel und nicht auf rund 200 andere Konflikte in der Welt beziehe. Das Außenministerium kritisierte den Beschluss, "ausgerechnet zu einer Zeit, in der Israel einer Terrorwelle ausgesetzt ist".

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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