Grüne:Kretschmanns Qualkampf

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In Baden-Württemberg hat Winfried Kretschmann die Verantwortung für ein hoch industrialisiertes Land – das passt im Wahlkampf schwer zur Oppositionsrolle der Grünen in Berlin. (Foto: AFP)

Die Grünen regieren im Industrieland Baden-Württemberg - das hilft ihnen im Bund nicht. Ganz im Gegenteil.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Wahlkampf habe mit kämpfen zu tun, sagt Winfried Kretschmann gern, andernfalls hieße es ja Wahlschlaf. Den Eindruck, der prominenteste Grüne habe bislang selbst eher geschlafen, konnte man am vergangenen Wochenende gewinnen, als die Meldung kursierte: Kretschmann greift in den Bundestagswahlkampf ein. Es ging um einen Klimaschutz-Appell, den er gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir veröffentlichte. War Kretschmann also aufgewacht?

Nein, er ist schon länger auf den Beinen, allerdings nur in Baden-Württemberg. Die Pläne, zur Unterstützung des Spitzenkandidaten-Duos durch Deutschland zu tingeln, hat er verworfen mit der Begründung, die Zugkraft eines Ministerpräsidenten lasse jenseits der Landesgrenzen stark nach. Er reiht nun Interview an Interview, Rede an Rede. Am Mittwoch sprach er bei einer Großkundgebung mit Cem Özdemir in Stuttgart über die existenzielle Bedeutung des Klimaschutzes. Er schloss mit der Bemerkung, es laufe "was schief in dieser Republik" - weil der Klimaschutz beim TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz nicht einmal vorkam.

Zumindest scheint etwas schief zu laufen für die Grünen. Öko-Themen würden auf Interesse stoßen, heißt es in Kretschmanns Umgebung, der Zuspruch sei groß, allein: Die Zahlen sind die gleichen wie 2013, als Jürgen Trittin als Spitzenkandidat die Wähler im Südwesten verschreckte. Laut letzter Umfrage liegen die Grünen in Baden-Württemberg bei zwölf Prozent, nur einen Punkt über dem Ergebnis von 2013. Mindestens 15 Prozent hat Kretschmann für Baden-Württemberg als Ziel ausgegeben, nur so können die Grünen im Bund drittstärkste Kraft werden. Aber seine Kampagne scheint nicht zu zünden.

Die Merkel-Anhänger, die Kretschmann bei der Landtagswahl 2016 in großer Zahl für die Grünen gewann, wandern wieder zur CDU ab. Es hat Kretschmann nicht geholfen, dass die Bundespartei im Wahlprogramm den Abschied vom Verbrennungsmotor für 2030 festschrieb. Genauso wenig hat es der Partei geholfen, dass Kretschmann deutlich kundtat, wie wenig er von diesen Plänen hält. Mit seiner Diesel-Freundlichkeit und seiner Zögerlichkeit bei der Luftreinhaltung bringt er immer wieder Parteifreunde auf die Palme. Der Kern des Problems aber liegt wohl darin, dass die grünen Welten zu weit entfernt voneinander sind: in Stuttgart die Verantwortung für ein hoch industrialisiertes Bundesland in einer Koalition mit der CDU, in Berlin die Oppositionsrolle.

Mit offensichtlichem Wohlgefallen hörte Winfried Kretschmann am Mittwoch, wie Cem Özdemir in einer leidenschaftlichen Rede schon einmal das Bundesverkehrsministerium für die Grünen reklamierte. Kretschmann, das ist kein Geheimnis, wird nach der Wahl alles dafür tun, dass die Grünen sich für eine Regierungskoalition mit CDU und FDP zumindest ernsthaft öffnen. Damit die grünen Welten in Stuttgart und Berlin näher aneinander heran rücken.

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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