Grüne:Eigenwillige Dialektik

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Parteichef Cem Özdemir gratuliert der Spitzenkandidatin Ramona Pop. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Warum die beiden Parteivorsitzenden das Wahlergebnis verschieden auslegen.

Von Stefan Braun

Gedacht war es so sicher nicht; passiert ist es trotzdem. Als am Montag die beiden Parteivorsitzenden der Grünen auftreten, um das Wahlergebnis von Berlin zu bewerten, hätte der Kontrast kaum größer sein könne. Während Simone Peter alles tat, um die Sache als großen Erfolg und Beleg für die gute Arbeit der Grünen einzuordnen, gab sich Cem Özdemir betont nachdenklich, um zu zeigen, wie groß aus seiner Sicht die Verantwortung der Grünen noch sein wird. Selten hat ein Duo so deutlich zwei Seiten des gleichen Wahlergebnisses verkörpert.

Peter hatte dabei den leichteren Part. Sie lobte die eigene Leistung und gab den Gegnern die Schuld für die Probleme. So zeige das Ergebnis in der Hauptstadt eine "tolle Oppositionsarbeit" der Grünen, die eine "bessere Flüchtlingspolitik, eine bessere Verkehrspolitik, einen besseren sozialen Wohnungsbau" anböten. Es soll bloß keiner mit Bedenken kommen. Die grüne Parteichefin, die seit Langem auf Rot-Rot-Grün setzt, mag an ihrer Grundüberzeugung keinerlei Zweifel zulassen.

Anders Özdemir. Er, der schwarz-grüne Kooperationen nicht in Berlin, wohl aber im Bund durchaus sympathisch findet, beginnt mit der Erklärung, dass es nach diesem Ergebnis an allen Parteien liege, das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen. Da ist nicht viel von Triumph; da macht sich einer nach dem Zerbröseln der Volksparteien und dem Aufstieg der AfD tiefergehende Sorgen. Özdemir erinnert an den Erfolg von Baden-Württemberg; der sei absolut großartig gewesen. Dann erklärt er ebenso deutlich, dass die Niederlage von Mecklenburg-Vorpommern schon sehr geschmerzt habe. Er zeigt sich zufrieden darüber, dass die Grünen in Berlin nun "Verantwortung übernehmen" dürften - und erklärt im nächsten Atemzug, dass die Partei halt doch gerne vor der Linkspartei ins Ziel eingefahren wäre. Während Peter lieber jubelt , als sich oder anderen tiefere Fragen zu stellen, bemüht sich Özdemir, Gutes und Schlechtes präzise abzuwägen. "Die Zeiten sind ernst", sagt Özdemir, "die Menschen erwarten eine Regierung, die nicht streitet, sondern die Probleme anpackt." Das mag eine Floskel sein, deutlich wird trotzdem: Selten ist eine Parteispitze mit einem Wahlsonntag so anders umgegangen als diese beiden.

Das entspringt nicht nur den Unterschieden in Temperament und Zielsetzung. Es spiegelt wider, wie ambivalent der Erfolg von Berlin für die Grünen tatsächlich ausfällt. Sie sind immerhin kurz vor einer elften Regierungsbeteiligung in Deutschland. Aber sie müssen zugleich erkennen, dass ihre Hoffnungen selbst im liberalen Berlin alles andere als in den Himmel wachsen. Wieder lagen sie am Ende deutlich hinter ihren ursprünglichen Erwartungen; und die Lehren, die sie ziehen könnten, sind kaum zu erkennen. Die Landespartei macht bald Rot-Rot-Grün, ohne dass sich das jemand besonders auf die Fahnen schreiben könnte. Unsicherheit dominiert in Deutschland. Und bislang zeigt sich nur eines: dass Linke und Realos bei den Grünen darauf sehr unterschiedliche Antworten parat haben.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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