Grüne:Bloß kein Geschrei

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Beim kleinsten der drei Jamaika-Partner steht der Zusammenhalt auf dem Spiel. Die neue Nähe zu Union und FDP ist manchen eine Zumutung.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Wollte man die Grünen zu Beginn der Jamaika-Sondierungen in Ja-Sager und Nein-Sager unterteilen, dann stünde da zunächst eine Herde von Ja-Sagern. Strikte Nein-Sager jedenfalls sind noch nicht in Sicht, auch auf dem linken Parteiflügel der Grünen nicht. Zu den Ja-Sagern gehören Parteichef Cem Özdemir und Fraktionschefin Katrin Göring Eckardt, die entschlossen wirken, die Grünen zum ersten Mal in ihrer Geschichte in ein Jamaika-Bündnis im Bund zu führen. Ob das gelingt allerdings, hängt nicht nur von Union und FDP ab, sondern auch von Figuren, die bei den Grünen oft als Nein-Sager auftraten - und sich früher wohl lieber die Hand abgehackt hätten, als mit CDU und CSU zu regieren: Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, Parteichefin Simone Peter oder die Kämpfernatur Claudia Roth. Sie sind es, die Gralshüter grüner Identität, die am Ende der Koalitionsgespräche auf der Seite der Ja-Sager stehen müssen, wenn auch das grüne Parteivolk zustimmen soll.

Die Herde zusammenhalten, heißt also eine Devise beim Auftakt der Sondierungen. Sie beginnen für die Grünen am Mittwochnachmittag beim ersten Gespräch mit der Union. Bereits am Dienstagabend tauchte CSU-Chef Horst Seehofer in der Parteizentrale auf, zum kurzen Kennenlernen. Manche Grünen hätten sich gewünscht, sich erst einmal mit der FDP zu verständigen, oder dass gleich alle vier Jamaika-Parteien zusammenkommen, der Augenhöhe wegen. Die Union aber, die mit der FDP mehr verbindet als mit den Grünen, spricht erst mit den Liberalen, bevor am Freitag alle vier Parteien zusammentreffen. Für die FDP ist dies ein Zeichen von schwarz-gelber Nähe.

Den Grünen bleibt nichts anderes übrig, als Gelassenheit zu demonstrieren. Bloß nicht über jede Kleinigkeit aufregen, nicht jeden Dissens zum Problem aufblasen, Union und FDP wollen doch was von uns - solche Töne hört man in diesen Tagen überall in der Partei. Die grünen Unterhändler wissen allerdings auch, dass für sie als eine der kleinsten Jamaika-Parteien der Weg in ein schwarz-gelb-grünes Bündnis am weitesten ist - und der Glaubwürdigkeitsdruck riesig. Bevor es richtig losgeht wird also gewarnt und aufgemuskelt.

Die grüne Parteichefin Simone Peter beispielsweise erzählt in diesen Tagen gern vor ihrer Zeit als saarländische Umweltministerin. Damals zerbrach eine Jamaika-Koalition und mit ihr fast der grüne Landesverband. Jamaika kann tödlich sein, so die Botschaft. Der Parteilinke Jürgen Trittin, der im 14-köpfigen Sondierungsteam der Grünen als Preistreiber und Verhandlungsfuchs fungiert, hackte nach der Niedersachsenwahl genüsslich auf der angeschlagenen CDU herum. So nach dem Motto: Bitte keine Selbstüberschätzung der Union. Wer bei den Trittins und Peters genauer hinhört, wird aber merken: Auch potenzielle Nein-Sager wünschen sich erfolgreiche Jamaika-Verhandlungen, schon um den Rechtstrend im Land zu bremsen.

Unverzichtbare Ziele sind ein Abschiebestopp für Afghanen und der Familiennachzug

Bis es allerdings so weit ist, müssen aus grüner Sicht noch große Steine aus dem Weg gerollt werden, und das bald. Die Partei will erst in Koalitionsverhandlungen eintreten, wenn ein Parteitag die Sondierungsergebnisse abgesegnet hat. Das bedeutet, dass schon in der Sondierungsphase Lösungen für zentrale Konflikte gefunden werden müssten.

Nicht gleich mit den strittigsten Themen anfangen, erst Gemeinsamkeiten ausloten, empfehlen nun grüne Strategen. So wollen die Grünen die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke abschalten, damit Deutschland sein Klimaziel erreicht - und hoffen hier auf Unterstützung der Kanzlerin. Ob die FDP da mitgeht, ist ungewiss. Es fehle bei den Liberalen energiepolitisches Basiswissen, heißt es bei den Grünen.

Auf erhebliche Widerstände dürfte die grüne Forderung stoßen, von 2030 an nur noch abgasfreie Autos zuzulassen. Die FDP lehnt das als Verbotspolitik ab. Union und FDP wollen die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklären. Kommt nicht infrage, sagen linke Grüne. Realos hingegen beginnen zu rechnen: Die Zahl der Betroffenen sei überschaubar. Unverzichtbar sei dagegen ein Abschiebestopp für Afghanen, Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz und eine humanitäre Flüchtlingspolitik in Europa. Das klingt nicht, als stünden vergnügliche Wochen bevor.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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