Große Koalition:Nah am Menschen

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Argumente auf den Tisch: Die designierte Parteichefin Andrea Nahles diskutiert am Samstag bei der SPD-Regionalkonferenz in Jena mit Thüringer Mitgliedern. (Foto: Bodo Schackow/dpa)

Nach dem Ende der Regionalkonferenzen gibt sich die SPD-Spitze optimistisch, dass die Mitglieder der großen Koalition zustimmen werden. Andrea Nahles ist irgendwie müde, und Kevin Kühnert sucht einen Briefkasten.

Am Samstagvormittag Potsdam, am Samstagnachmittag Jena, am Sonntag Ulm. Am Samstagvormittag mit etwa 600 Parteimitgliedern, am Nachmittag mit 200, am Sonntag mit etwa 550 Genossinnen und Genossen. Danach war Schluss. Vorerst. Nun wartet nicht nur die SPD-Spitze auf das Ergebnis des Mitgliedervotums. Andrea Nahles hat sieben Regionalkonferenzen hinter sich gebracht, als amtierende SPD-Fraktionschefin und designierte Parteivorsitzende und als wichtigste Werbebotschafterin für die parteiintern arg umstrittene große Koalition. Ist man da nicht mal müde nach einer solchen Gewalttour durchs Land? "Ich hab für mich beschlossen, ich lass einen Gedanken an Pause gar nicht zu", sagte die ehemalige Arbeitsministerin in Jena. Es gehe um eine existenzielle Frage für die SPD und um eine Regierung für Deutschland. "Da bin ich nicht müde, selbst wenn ich müde bin. Punkt."

Das meistgehörte Wort nach dem Ende der parteiinternen Tour lautete dann "optimistisch" - zumindest bei den führenden Genossen. "Ich bin optimistisch, dass wir eine Mehrheit für ein Ja haben. Worum ich mich bemühen will in den nächsten Tagen, ist, dass das auch ein gutes Ergebnis wird", sagte Nahles am Sonntag. Der kommissarische SPD-Parteichef Olaf Scholz betonte: "Ich bin sehr optimistisch, dass es ein positives Votum der Mitglieder geben wird, sodass wir den Auftrag bekommen, in die künftige Regierung einzutreten." Nahles sicherte zu, die SPD werde sich auch in einer Regierung erneuern. "Ich kann versprechen, dass das auch gelingt, wenn man regiert." Dafür stehe sie persönlich. "Ich werde nicht in die nächste Regierung eintreten, auf keinen Fall." Sie bewerbe sich um den Parteivorsitz und werde ihre Kraft und Energie in die Kampagnenfähigkeit und in den Aufbau der Partei stecken.

Die Gegner der Groko fordern hingegen eine Erneuerung in der Opposition. Für die Parteilinke Hilde Mattheis ist der Ausgang des Mitgliederentscheids nach wie vor offen. Sie nehme an der Parteibasis weiterhin eine sehr kritische Stimmung wahr, sagte die Groko-Kritikerin am Rande der Regionalkonferenz in Ulm. Ein so deutliches Ergebnis wie 2013 werde es auf keinen Fall. Vor fünf Jahren hatten 76 Prozent der SPD-Mitglieder für die große Koalition gestimmt. Die Deutung der Stimmung an der Basis erfolgte genau an dem Tag, an dem die CDU ihre wohl künftigen Minister präsentierte.

Führende Sozialdemokraten wollen den Juso-Chef künftig stärker einbinden

Schon am Samstag war der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert in Karlsruhe aufgetreten und hatte für ein Nein zur Groko geworben. Er wies den Vorwurf zurück, eine Ablehnung sei verantwortungslos. "Da sollte man mal ein wenig Druck aus dem Kessel lassen - keine Partei hat in den vergangenen 20 Jahren so viel regiert wie die SPD." Vor etwa 450 Teilnehmern kritisierte Kühnert den ausgehandelten Koalitionsvertrag. "Aus diesem Papier spricht eine zukunftsvergessene Politik."

Der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel appellierte unterdessen an die SPD, Groko-Gegner Kühnert stärker zu integrieren. In der Sache sei er anderer Meinung als der Juso-Chef, sagte Gabriel dem Spiegel. Aber ihn beeindrucke der Einsatz der Jusos um Kühnert. "Wenn es die SPD schafft, eine gute Regierung zu bilden und gleichzeitig diese junge Generation mit ihrem Engagement und Enthusiasmus zu halten, ist mir um die Zukunft der SPD nicht bange." Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagte dem Magazin, es werde eine wichtige Aufgabe sein, Befürworter und Gegner einer großen Koalition zusammenzuführen. Natürlich werde Kühnert eine wichtige Rolle bei der Erneuerung der SPD spielen.

Die Frage, ob die SPD erneut in eine große Koalition gehen soll, ist in der Partei hochumstritten. Mehr als 463 000 SPD-Mitglieder können noch bis zum 2. März über den ausgehandelten Koalitionsvertrag abstimmen. Das Ergebnis soll am ersten März-Wochenende vorliegen - und damit die Entscheidung, ob es zu einer großen Koalition kommt oder nicht.

Womöglich kommt es am Ende also auf jede Stimme an. Manch einer ist derzeit so im Stress, dass er noch gar nicht zum Abstimmen gekommen ist. "Der Brief ist in meinem Rucksack", sagte Kühnert am Samstag der dpa in Karlsruhe. "Ich muss unterwegs einmal einen Briefkasten finden." Den Stimmzettel habe er aber ausgefüllt, betonte Kühnert. "Selbstverständlich nicht mit Ja."

Nahles übrigens hatte auch noch ein Interview in der Bild am Sonntag zu absolvieren. "Mein persönliches Schicksal verbinde ich ausdrücklich nicht mit dem Ausgang des Mitgliederentscheids. Die Zeiten von indirekten Drohungen sind vorbei", sagte sie. Sollte der Entscheid scheitern, gebe es keinen Plan B. Und ihre Antwort auf die Frage, ob sie nachts wach liege? "Nein, dafür bin ich viel zu müde."

© SZ vom 26.02.2018 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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