Großbritannien:Mission Gnadenlos

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Der Brexit-Anführer Johnson zauderte eine Woche ehe ihm der harte Kern der Europa-Gegner bedeutete: Grautöne gibt es nicht, hier regieren schwarz oder weiß. Offenbar spürt das Brexit-Lager, dass es scheitern könnte. Der Kampf wird hässlich.

Von Stefan Kornelius

Jetzt spätestens sollten Angela Merkels Worte allen Zuschauern auf den oberen Rängen einleuchten: Klappe halten, still sitzen, die Show ist noch nicht vorüber. Das nationale Führungs- und Selbstzerstörungsdrama in Großbritannien ist noch lange nicht vorbei. Vielleicht hat es sogar gerade erst angefangen. Sicher ist zumindest: Die Handlung ist enorm verworren, und offenbar gibt es ein paar Figuren im Hintergrund, die jetzt Regie führen wollen.

Zur Rekapitulation: Vor einer Woche stimmten 52 Prozent der Briten für den Wunsch, aus der Europäischen Union auszutreten. Doch erstaunlicherweise fand sich unter den regierenden Tories zunächst niemand, der diesen Wunsch freudig, schnell und ohne Tricksereien umsetzen wollte. Premierminister David Cameron kündigte verständlicherweise seinen Rückzug an, aber auch der Anführer des Austritts-Lagers, Boris Johnson, schien auf einmal von seltsamen Zweifeln geplagt zu sein.

Nach einer Woche ist klar, dass die Operation Brexit nicht einfach sein würde, dass sie nahezu nirgendwo in der Führung des Landes Unterstützung erfährt und dass im Parlament nur schwer eine Mehrheit zu finden sein würde, sollte einmal eine Abstimmung zum Austritt nötig sein.

Den Tories fehlt ein überzeugter Brexit-Anführer

Das aber ist nicht der Grund, warum Johnson der Auseinandersetzung um die Tory-Führung und damit um das Premiers-Amt aus dem Weg geht. Johnson scheren diese Probleme eigentlich nicht. Er wollte immer Premier werden, und das Brexit-Dilemma hätte er entweder hinausgezögert, wegverhandelt oder mit einem halbscharigen Austritt gelöst. Das aber war der überzeugten Brexit-Fraktion zu wenig. Sie will den Austritt jetzt, sofort. Schon Cameron hat ihren Plan durchkreuzt, indem er einfach zurückgetreten ist, ohne das Austrittsgesuch unmittelbar in Brüssel zu deponieren. Noch so einen Zauderer oder gar einen Versöhner kann der harte Kern der Brexiteers nicht gebrauchen. Deswegen wurde Johnson mehr oder weniger subtil bedeutet, dass er keine Gefolgschaft mehr hat: nicht in der Murdoch-Presse, nicht von Teilen der Fraktion, nicht von seinem eigentlich Getreuen Michael Gove, der nun den Dolch im Gewande trug.

Zwei unmittelbare Folgen haben die Brexiteers nicht bedacht: Erstens werden sie ihren 52 Prozent nicht erklären können, warum deren Held Boris Johnson auf einmal nicht der geeignete Mann für die Operation Austritt sein soll. Johnson ist beliebt, ihm ist die Mehrheit überhaupt erst zu verdanken. Und zweitens wird sich das Gegnerlager nun umso fester zusammenschließen. Johnson hatte noch versöhnliche Signale an dieses Lager gesandt, weil er spürte, dass er das Land ansonsten in einen politischen Bürgerkrieg treiben würde. Michael Gove indes muss seine Kandidatur nun als Mission Gnadenlos verstehen. Mehr Unterstützung wird ihm das freilich nicht einbringen im Parlament.

Nun liegt das britische und auch das europäische Schicksal dort, wo der ganze Schlamassel seinen Anfang genommen hat: in den Händen der Tory-Abgeordneten. Sollten sie Gove nominieren, sollte das Parteivolk ihn wählen und würde er das Premiers-Amt übernehmen - Brüssel hätte am nächsten Morgen den Austrittswunsch nach Artikel 50 auf dem Tisch. Damit wäre der Prozess nicht mehr zu stoppen. Alle andere Kandidaten scheinen noch mehr oder weniger an eine Wendung oder Gestaltungsoption zu glauben. Immerhin haben die Briten ja nur gesagt, was sie nicht wollen. Über eine neue Konstruktion lässt sich immer noch trefflich streiten.

Vielleicht wird Johnson irgendwann wie Vorbild Winston Churchill die Welt per Memoiren wissen lassen, warum er es vorgezogen hat, nicht um das Amt zu kämpfen. In jedem Fall wird er neben Cameron als Tropf in die Geschichte eingehen.

© SZ vom 01.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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