Großbritannien: Labour-Parteitag:Der echte Gordon Brown

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Auf dem Labour-Parteitag bekommt der angeschlagene britische Premier ein neues Image verpasst - als aufrechter, linker Kämpfer.

Wolfgang Koydl, Brighton

Die Spin-Doktoren und PR-Berater der waidwunden britischen Labour-Partei haben einen neuen Weg gefunden, um deren Führer dem Wähler vielleicht doch noch schmackhaft zu machen. Premierminister Gordon Brown, so lautet das Konzept, möge zwar nicht über den gewinnenden Charme seines konservativen Gegenspielers David Cameron verfügen. Doch derweil der glatte Tory mit seinem leeren Lächeln nur oberflächliche Inhaltslosigkeit kaschiere, sei der cholerische Bärbeiß Brown wenigstens authentisch.

Diese brandneue Authentizität des Premierministers wurde denn auch wie ein Mantra beschworen, als sich die Labour-Delegierten zum letzten Parteitag vor der Unterhauswahl im südenglischen Seebad Brighton versammelten. Hier war es auch gewesen, wo der spektakuläre Siegeszug der Partei zu nie dagewesenen drei Wahlsiegen in Folge begonnen hatte, als der damalige Oppositionschef Tony Blair seine widerstrebenden Genossen in die politische Mitte zwang. Doch das ist sehr lange her, und vom Siegen träumt man bei Labour nicht mehr.

Nur noch Nummer drei

Realisten denken eher darüber nach, wie man mit einem Rest an Würde verlieren kann. In jüngsten Umfragen ist die Partei auf den dritten Platz zurückgefallen und dümpelt mit 24 Prozent der Stimmen sogar hinter der traditionell dritten britischen Partei, den Liberaldemokraten. Noch nie ist es einer Partei gelungen, derart negative Trends so wenige Monate vor einer Wahl noch zu drehen. Und gewählt wird, aller Voraussicht nach, im Mai nächsten Jahres.

Der Grund für die Verachtung, die der Partei bei den Wählern entgegenschlägt, hat einen Namen: Gordon Brown. Befragt man die Briten, was sie von ihrem glücklosen Regierungschef halten, dann kommt dabei eine erschreckend lange Liste von Negativeigenschaften zutage: Sie halten ihn für langweilig, unsympathisch, unentschlossen, schwach, inkompetent, desinteressiert und unaufrichtig. Dies, so deutet es die Befragung des Institutes Populus an, ist der authentische Brown, wie ihn die Öffentlichkeit sieht.

Aber welches war nun der echte, der unverfälschte Brown, der am Dienstag zu seiner programmatischen Rede vor den Parteitag und vor die Nation trat?

"Unordentlich", "lautstark", "kein Heiliger", wie ihn Ehefrau Sarah schalkhaft ankündigte? Oder tatkräftig, voller Elan und Tatendrang? Vor allem war er ein Wahlkämpfer, der fast genauso viel über die unverantwortliche Opposition herzog, wie er die Leistungen seines Teams lobte.

Deutlich wurde, dass Labour in dem Wahlkampf, den man als soeben eröffnet bezeichnen kann, stärker als je in den letzten zwölf Jahren linke Akzente setzen wird. Hier die "hartarbeitende Mehrheit", dort die "wenigen Privilegierten", wie es Brown ausdrückte. Er errötete nicht einmal, als er den Zusammenbruch eines globalen kapitalistischen Finanzsystems anprangerte, das er als Schatzkanzler selbst ein Jahrzehnt lang mit gepäppelt hatte.

Macho-Auftritt als Gesundheitsbeweis

Richtig mitreißen freilich konnte Brown seine Partei nicht. In den vergangenen Jahren hatten Labour-Parteitage an ähnliche Veranstaltungen der SED unter Erich Honecker oder der CSU zu den Hochzeiten ihres großen Vorsitzenden Franz Josef Strauß erinnert: Das Parteivolk scharte sich geschlossen um den Chef und gelobte Gefolgschaft. Die Säle waren gut gefüllt, man applaudierte laut und an den richtigen Stellen, und selbst wer Zweifel hegte an dem Premierminister, der behielt sie für sich.

Doch in diesem Jahr suchten viele Delegierte offensichtlich lieber Trost in einer der vielen Bars von Brighton, als im Saal den Reden auf dem Podium zu lauschen. Nur schütter waren die Reihen besetzt, nur zaghaft rührten sich die Hände zum Applaus. Einzig Peter Mandelson, jahrelang als Verräter an traditionellen Labour-Werten von der Basis inbrünstig verhasst, vermochte es, den Parteitag zu elektrisieren.

Schon vor seiner Rede war dies Brown nicht gelungen. Selbst als er am Tag zuvor gemeinsam mit zwei anderen leibhaftigen Regierungschefs auf der teils blutrot, teils klerikal violett ausgeleuchteten Bühne Platz genommen und den Klimaschutz debattiert hatte, gähnten Lücken in der Bestuhlung, vertieften sich Delegierte in ihre Zeitungen.

Brown hatte die sozialistischen Amtskollegen aus Spanien und Norwegen, José Luis Zapatero und Jens Stoltenberg, einfliegen lassen - als Nachweis, dass Sozialdemokraten durchaus noch Wahlen gewinnen können. Von der SPD hingegen kamen in letzter Minute Absagen, ebenso wie von französischen Sozialisten. Die Genossen aus Berlin und Paris würden, hieß es, in Krisensitzungen gebraucht.

In seiner Rede gab sich Brown kämpferisch und kräftig, ja, einen atemstockenden Augenblick lang schien er sogar auf die Bühne sprinten zu wollen. Ein Grund für den Macho-Auftritt war das Thema, das er gewählt hatte: der Kampf gegen asoziales Verhalten. Zum anderen wollte Brown, der älter aussieht als seine 58 Jahre, Spekulationen über seine Gesundheit zum Verstummen bringen.

Am Sonntag war er im Fernsehen vorlaut gefragt worden, ob er von Schmerzmitteln abhängig sei und verneinte entrüstet.

Wahrscheinlich sind es andere, die Aspirin brauchen. Seine Partei beispielsweise.

© SZ vom 30. September 2009/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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