Großbritannien:David Ohneland

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Die Wahl im Königreich hat ein kurioses Ergebnis hervorgebracht: Der wenig beliebte Premier Cameron ist der Überraschungssieger, doch er wird sich seines Erfolges nicht lange erfreuen können. Die Schotten und Europa werden ihn bald vor große Probleme stellen.

Von Stefan Kornelius

Vor exakt 800 Jahren zwang eine Meute von selbstbewussten Baronen den englischen König Johann zu Verhandlungen über die Verteilung der Macht im Land. Was auf einer Wiese vor London abgepresst und unterschrieben wurde und in wenigen Tagen mit viel Pomp und Gloria gefeiert wird, machte England zur ersten modernen Demokratie und verhalf Johann zu einem Verliererplatz in der Geschichte (den Beinamen Ohneland verdankt er dem Verlust großer Festlandsterritorien). Vor allem aber steht seine Magna Charta am Beginn einer politischen Tradition, die sich auch jetzt wieder in brutaler Logik entfaltete: Die Parlamentswahl nach Mehrheitswahlrecht schafft zwar klare Verhältnisse, spiegelt aber nicht unbedingt den Wählerwillen wider.

Mit dieser eingebauten Ungerechtigkeit leben die Briten schon viel zu lange. Tradition, eine wichtige Komponente in der ungeschriebenen Verfassungswirklichkeit Großbritanniens, und Machtkalkül haben noch alle Reformversuche verhindert. Das Mehrheitswahlrecht garantiert in der Regel stabile Regierungen, es zwingt zur Mäßigung, es verhindert eine Zerfaserung des Parteiensystems. Das Mehrheitswahlrecht ist in der Theorie zu allen gleich gerecht und ungerecht.

Diesmal aber hat das Wahlrecht seine Nachteile erbarmungslos offenbart. David Cameron ist der große Nutznießer des Systems, seine absolute Mehrheit ist so wenig erklärbar wie gerecht. Aber dem unerwarteten Wahlsieg wohnt kein Segen inne. Cameron ist ein Last-Minute-Sieger, ein Profiteur der Verzweiflung. Die Briten sehen keinen Vorteil in einer Koalitionsregierung. Die verflossenen fünf Jahre mit den schattenhaften Liberaldemokraten in der Co-Verantwortung bestärkten die Abneigung der Wähler gegen diese Regierungskonstruktion. Unter den angebotenen Alternativen erschien Cameron als das geringste Übel.

Ungerecht ist das System vor allem deshalb, weil es die Vielfalt des Landes nicht abbildet. Die Briten haben nicht zwischen zwei politischen Lagern gewählt, der klassische Parteiendualismus deckt die politische Agenda der Nation nicht ab. Eine hochentwickelte Demokratie, wie sie Großbritannien sein sollte, lässt sich nicht in ein Links-rechts-Schema pressen.

Mindestens zwei wichtige Themen bewegen das Land, die sich im Wahlergebnis nun unzureichend oder grob verunstaltet spiegeln. Das schafft neue Probleme. Bestimmend für die nächste Legislaturperiode werden sein: der Regionalismus, dessen farbigste Ausprägung die Schotten liefern; und der Zwang zum europäischen Föderalismus, den die antieuropäische Ukip so nachdrücklich bekämpft hat und der zum schwierigsten Dossier für Cameron werden wird.

Die Wahl hat schottische Nationalisten und Europafeinde ungleich behandelt. Während die Schottenpartei mit nur fünf Prozent der Stimmen unverhältnismäßig viele Sitze im Unterhaus gewinnt, fällt Ukip trotz hoher Stimmanteile aus dem Geschäft. Das mag politische Genugtuung verschaffen - den Wählerwillen spiegelt das Ergebnis nicht wider.

David Cameron wird das spüren, wenn sich Strömungen und Gegenbewegungen in seiner eigenen Partei kreuzen, lähmen und bekämpfen. Mit seiner knappen Mehrheit ist der Premier auf jede Stimme angewiesen und damit erpressbar. Seine Wahlleistung wird schnell vergessen sein, wenn die Fraktion zu ihrem Lieblingsspiel der Destruktion und Meuchelei zurückkehrt und Cameron als das entlarvt, was er auch ist: einer der schlechtesten Taktierer seit Johann Ohneland.

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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